Internationaler Tag der Kinderrechte

Ein Zuhause für chinesische Häftlingskinder

Sie konnte die am Gefängnistor weinenden Kinder nicht mehr ertragen. Deshalb kündigte die Chinesin Zhang Shuqin ihren Job in der Verwaltung und gründete ein Kinderheim. Mittlerweile gibt es neun.

Autor/in:
Silke Ballweg
 (DR)

Tian Tian hat keine Eltern mehr. Ihr Vater ermordete vor einigen Jahren ihre Mutter und wurde dafür zum Tode verurteilt. Jetzt lebt die 13-Jährige in einem Kinderheim in Peking. Das Mädchen hebt den Deckel des Bambuskorbs und prüft, ob die Hefeklöße fertig sind. "Jeden Sonntag müssen wir helfen und Essen machen", erzählt Tian Tian. Es gibt gefüllte Pfannkuchen, selbstgemachte Nudeln und gebratenen Reis.



Kurz bevor das Todesurteil gegen Tian Tians Vater in der zentralchinesischen Provinz Henan vollstreckt wurde, erhielt die Kinderheimleiterin Zhang Shuqin im 1.000 Kilometer entfernten Peking einen Brief. "Ein Polizist aus Henan hatte von mir gehört, er schrieb von Tian Tian und ihrem Vater", erzählt die 64-Jährige.



"Ich bin dann sofort nach Henan gefahren und habe den Vater im Todestrakt besucht", erzählt Zhang. "In Windeseile haben wir alles geregelt. Ich habe die Vormundschaft für Tian Tian übernommen. So kam das Mädchen zu mir." Sonst wäre sie allein gewesen.



Lange wurden die Kinder ignoriert

Zhang Shuqin leitet das Pekinger "Sonnendorf". Während der vergangenen 17 Jahre hat sie chinaweit mehr als 5.000 Kindern von Sträflingen ein Zuhause gegeben. Auf deren Schicksal aufmerksam wurde sie erstmals Ende der 80er Jahre. Da arbeitete sie in einem Gefängnis und interessierte sich für das Schicksal der Insassen, vor allem der Frauen.



"Die hatten oft schlimme Dramen hinter sich, manche hatten ihren Ehemann umgebracht und waren sehr aggressiv", erzählt sie. "Gleichzeitig aber waren sie schwach und wurden fast verrückt vor Sorge, denn sie wussten nichts über ihre Kinder." Manche hätten jahrelang nichts von ihnen gehört. "Einige Frauen fielen weinend vor mir auf die Knie und baten mich, ihnen zu helfen und ihre Kinder ausfindig zu machen."



Damals war der Satz des Staatsgründers Mao Tse-tung "Der Sohn eines Helden ist ein Held, der Sohn eines Schufts, ein Schuft" im Denken der Chinesen stark verankert. Die Gesellschaft ignorierte die Kinder von Verbrechern. Viele vagabundierten herum, wurden selbst kriminell. Andere standen tage- ja wochenlang vor den Gefängnistoren, weinten und riefen nach Mama oder Papa.



"Irgendwann konnte ich den Anblick dieser Kinder nicht mehr vergessen, auch nicht den der Mütter im Gefängnis. Deswegen habe ich gekündigt und angefangen, den Kindern zu helfen", erzählt Zhang Shuqin.



Heute unterstützt der Staat die Arbeit

Mittlerweile gibt es neun Heime in ganz China. Rund 100 Kinder lernen und spielen allein im Pekinger "Sonnendorf". Sie schlafen in Etagenbetten in länglichen Baracken. Den bunten Kritzeleien an den Wänden gelingt es jedoch nicht wirklich, die zweckmäßigen Räume aufzuhübschen.



Anfangs wurde Zhang Shuqin für ihr Engagement noch auf offener Straße beschimpft. Mittlerweile erhält sie Unterstützung vom Staat. Doch die reicht nicht aus. Weil sie auf Spenden angewiesen ist, öffnet sie die Einrichtung in Peking für Besucher. Jedes Wochenende strömen Gäste in die Einrichtung, teils aus Neugier, teils aus Mitgefühl. "Ich würde gerne einen engen Kontakt zu einem der Kinder aufbauen, sie haben so schreckliches erlebt", sagt etwa Sung Wei, eine Besucherin Mitte 30. "Ich würde ihnen gerne helfen, ihre Vergangenheit zu vergessen."



An Besuchstagen müssen die Kinder mithelfen. Ein paar Zehnjährige stehen hinter einem länglichen Tisch im Freien vor dem großen Versammlungsraum. Sie verkaufen selbstgemachte Handschuhe, gebrauchte Bücher und krumme, grüngelbe Kürbisse.



Viele Kinder werden von den Gästen unverhohlen angestarrt. Daran müssten sie sich gewöhnen, meint Zhang Shuqin. "Ich glaube, dass es gut ist, wenn sie sich am Wochenende mit den Gästen beschäftigen." Die Besucher sollten sehen, wie tüchtig die Kinder sind: "Ich will, dass sie später selbstständig in der Gesellschaft zurechtkommen, deswegen sollen sie hier schon lernen, mit Fremden umzugehen."