Europaabgeordnete Lochbihler über Menschenrechte in China

Zensur an allen Ecken

Zum Auftakt des Kommunistischen Parteitags in Peking warnt die Europaabgeordnete Barbara Lochbihler vor zunehmender Zensur in China. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im EU-Parlament fordert die künftige chinesische Führung auf, die Religionsfreiheit von Minderheiten zu respektieren und Meinungsfreiheit stärker zu achten.

 (DR)

KNA: Frau Lochbihler, Sie sind als EU-Abgeordnete mit einer Delegation des Europaparlaments nach China gereist. Warum nicht als Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses?

Lochbihler: Wir sind in Gesprächen mit der chinesischen Seite über eine solche Reise des Ausschusses und planen dies für die Zukunft.

Für dieses Mal bekamen wir aus China das Signal, dass im Vorfeld des Parteitags am Donnerstag ein solcher Besuch des Menschenrechtsausschusses nicht günstig sei.



KNA: Das lässt nicht gerade auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage in China hoffen. Wie war Ihr Eindruck?

Lochbihler: Die Menschenrechtssituation in China ist nach wie vor in vielen Punkten bedenklich. Wenn ich an meinen vorigen Besuch 1995 zurückdenke, haben sich vor allem die Bedingungen für Meinungs- und Pressefreiheit verschlechtert - trotz des Internets. Zensur wird an allen Ecken geübt. Kritiker werden verfolgt - und zwar auch, wenn es sich um Bürger handelt, die das politische System der Kommunistischen Partei nicht infrage stellen, sondern einfach ihre Lebensbedingungen hinterfragen oder auf Missstände hinweisen.



KNA: Woran denken Sie?

Lochbihler: Zum Beispiel an den Träger des Sacharow-Preises 2008, den Menschenrechtsaktivisten Hu Jia. Er hat aufgedeckt, dass mit Aids verseuchte Blutkonserven über ganze Dörfer verbreitet wurden - und steht heute noch unter Hausarrest.



KNA: Was erwarten Sie von dem Führungswechsel?

Lochbihler: Neben der Zulassung von mehr Meinungsfreiheit vor allem einen verstärkten Kampf gegen Korruption in Politik und Wirtschaft. Viele Funktionäre glauben, dass sie über dem Gesetz stehen. Außerdem muss die Administrativhaft abgeschafft werden, die es erlaubt, ohne Gerichtsverfahren bis zu vier Jahren in Haft zu sitzen. Ebenso Todesstrafe und Folter.



KNA: Sind solche Forderungen an die neue Führungsriege realistisch?

Lochbihler: Gängiger Kommentar der Chinesen bei Hinweisen auf Menschenrechtsverletzungen ist, dass sie die Achtung der Menschenrechte in der Verfassung verankert haben. Es hapert an der Umsetzung. Bei Kritik daran heißt es dann meist, dass sie mehr Zeit für die Umsetzung benötigen. Die Wahrheit ist aber: Der politische Wille fehlt.



KNA: Der fehlt offenbar auch bei der Achtung der Religionsfreiheit. Erst kürzlich beklagte der Vatikan, dass China katholischen Bischöfen die Ausreise verweigert habe, um zur Synode nach Rom zu reisen.

Lochbihler: Die Achtung der Religionsfreiheit ist ein großes Problem in China. China muss die Rechte von religiösen Minderheiten respektieren und darauf achten, dass sie ihre Werte pflegen können. Das ist auch ein Punkt, den ich von der neuen chinesischen Führung

verlange: Die Regierung muss zum Beispiel das Gespräch mit dem Dalai Lama suchen und die Rechte der tibetischen Bevölkerung stärken.



KNA: Was kann die EU zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage in China beitragen?

Lochbihler: Man muss den regelmäßig stattfindenden Menschenrechtsdialog der EU mit China ernsthaft hinterfragen. Momentan sind es nur Gespräche, die aber keine Ergebnisse bringen. Hier wäre eine klare Fokussierung sinnvoll, etwa auf die Verbesserung des Justizwesens, wo Korruption an der Tagesordnung ist. Außerdem muss sich die EU stärker einbringen hinsichtlich der internationalen Firmen, die in China ansässig sind und die Chinesen durch Kinderarbeit oder Lohndumping ausbeuten. Hier muss die EU für eine konsequente Umsetzung internationaler Standards sorgen.



KNA: Was haben Sie an positiven Eindrücken mitgenommen?

Lochbihler: Man muss klar anerkennen, dass die Armutsbekämpfung in China gut ist. Hinsichtlich der wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Menschen wurde Enormes geleistet. Auch das Recht auf Wohnung und Nahrung ist ein Menschenrecht. Aber leider hat sich die bürgerliche Freiheit nicht parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung entwickelt.



Das Interview führte Nina Schmedding (KNA)