Ein Kommentar von Prof. Godehard Brüntrup SJ

Wir Katholiken und Obama

Deutschland jubelt über den Wahlsieg von Barack Hussein Obama. Der Mann ist uns einfach sympathisch. "91 Prozent der Deutschen hätten Barack Obama gewählt. Ihnen ist egal, dass er in unserem Parteiensystem wohl eher im konservativen Flügel der FDP verortet würde." So kommentiert die Süddeutsche Zeitung (online) am Mittwoch. Die Katholiken in den Vereinigten Staaten dagegen waren tief gespalten in der Frage, ob sie Obama die Stimme geben sollten. Warum?

 (DR)

Viele amerikanische Bischöfe hatten indirekt unmissverständlich eine Wahlempfehlung gegen Obama ausgesprochen. Der Grund, der dafür meist genannt wurde, ist die Gefährdung der Religionsfreiheit. Obama wollte zunächst katholische Krankenhäuser dazu zwingen, Abtreibungen durchzuführen, andernfalls verlören sie in letzter Konsequenz den Anspruch auf staatliche Zuschüsse. Der Gegendruck, der hier von den christlichen Kirchen aufgebaut wurde, brachte diesen Gesetzentwurf zu Fall. Es blieb aber die Tatsache, dass Obamas Gesundheitsreform katholische Arbeitgeber zwingt, eine Abtreibung zumindest indirekt mitfinanzieren zu müssen. Die katholischen Bischöfe und viele katholische Organisationen verklagten daraufhin die Regierung Obama.



Aber das tiefe Misstrauen, das viele im Episkopat Obama entgegenbringen, hat seine Wurzeln nicht in einem Streit über einen einzelnen Gesetzesentwurf. Es ist ein fundamentaler Dissens über die Würde menschlichen Lebens. Die Radikalität, in der Obama Abtreibung vehement befürwortet, ist vielen Europäern nicht bewusst. Sie widerspräche dem deutschen Grundgesetz. Obama befürwortet nämlich emphatisch die in der Praxis uneingeschränkte Abtreibung bis zum 9. Monat. Sogar während einer künstlich eingeleiteten Geburt (also teilweise außerhalb des Mutterleibes) dürfen nach seiner Ansicht Kinder getötet werden. Das gilt explizit auch für Kinder, die bereits selber atmen könnten und außerhalb des Mutterleibes allein überlebensfähig wären. Auch Kinder, die eine Abtreibung überleben und sich danach außerhalb des Mutterleibes befinden, müssen nach der Meinung von Obama ohne jede medizinische Hilfe sich selbst überlassen bleiben und grausam sterben. Das gilt auch dann, wenn diese Kinder bei medizinischer Versorgung gute Überlebenschancen hätten.



Das geringere Übel

Das weiß man in Amerika. Viele Katholiken hatten 2008 erhofft, dass sich Obama aber in anderen Bereichen deutlich für die Menschwürde einsetzen würde. Man wollte ja nicht die Wahlentscheidung von einem einzigen Thema abhängig machen. Aber in Bezug auf diesen erhofften Ausgleich gab es in der Folge große Enttäuschungen. Erwähnt sei nur eine: Präsident Obama autorisierte in seiner Funktion als Präsident sogenannte "Todeslisten". Damit sind Listen von Personen gemeint, die des Terrorismus verdächtigt werden. Diese können von der CIA - normalerweise mittels Drohnen - ohne jedes Gerichtsverfahren und meist auch ohne Rücksicht auf Begleitpersonen exekutiert werden. Die Zahl solcher Exekutionen nahm unter Präsident Obama deutlich zu. Viele Katholiken waren darüber entsetzt. Und zwar besonders jene, die eigentlich der Partei Obamas nahe stehen.



Einige meiner katholischen Freunde in den USA waren in den letzten Wochen ratlos, wen sie wählen sollten. Im Grunde war es die Frage, wer das geringere Übel sei. Darüber konnte man sich nicht einigen. Katholiken, denen die Frage nach Abtreibung, Stammzellenforschung und Schutz von Ehe und Familie als Institution besonders am Herzen lagen, stimmten eher für Romney. Solche, denen soziale Gerechtigkeit, internationale Entspannung und Umweltschutz besonders am Herzen lagen, wählten eher Obama. Die ersten Analysen zeigen, dass die Katholiken gestern mit knapper Mehrheit für Obama gestimmt haben. Das katholische Amerika bleibt also gespalten. Wir deutschen Katholiken sollten Verständnis zeigen für die gespaltene Seele unserer amerikanischen Geschwister im Glauben. Ein unreflektiertes Jubeln für Obama wäre naiv und wirklichkeitsfremd.



Der Autor Godehard Brüntrup SJ ist Professor für Philosophie an der Hochschule der Jesuiten in München und blickt auf eine langjährige Lehrtätigkeit an verschiedenen US-amerikanischen Universitäten zurück.