UN-Sonderberichterstatter sieht in Deutschland antireligiöse Ressentiments

"Kein Anlass zu Selbstzufriedenheit"

Bei ihrem ersten Synodenbesuch hat Bundeskanzlerin Merkel auf die Sicherung von Religionsfreiheit weltweit gedrängt. Heiner Bielefeldt befasst sich seit mehr als zwei Jahren als UN-Sonderberichterstatter mit dem Thema. Im domradio.de-Interview blickt der katholische Theologe auf aktuelle Brennpunkte - und die Situation in Deutschland.

 (DR)

domradio.de: In welcher Region ist die Lage von religiösen Minderheiten am schlechtesten?

Bielefeldt: So einfach kann man das nicht sagen. Es gibt kein Ranking des Schreckens. Aber wir wissen generell, dass es vielen nahöstlichen Staaten schlecht aussieht, aber auch in großen Teilen Zentralasiens, beispielsweise in Usbekistan. In Myanmar werden Hunderttausende vertrieben, in diesem Fall Muslime von Buddhisten. Auch China hat notorische Probleme mit Minderheiten. Wir haben Probleme in vielen Regionen der Welt.



domradio.de: Welchen Gefahren sind Menschen ausgesetzt, die wegen ihrer Religion verfolgt werden?

Bielefeldt: Verletzungen der Religionsfreiheit können ganz unterschiedliche Intensität annehmen. Wir haben natürlich die Fälle vor Augen, in denen es um Mord und Bestrafungen geht. Dabei vergessen wir häufig, dass das Panorama der Verletzungen viel weiter reicht. Beispielsweise schließt es administrative Schikanen ein. Religiöse Minderheiten müssen sich registrieren lassen, manchmal jedes Jahr. Und wenn dann irgendwas nicht stimmt, kommt es gleich zu Beschlagnahmungen oder Schließungen von Kirchen und anderen religiös genutzten Gebäuden. Andere Beispiele: Kinder werden indoktriniert, im Familienrecht wird diskriminiert, religiöse Gemeinschaften schaffen es nicht, sich als rechtsfähige Vereine zu konstituieren. Das sind Probleme in ganz vielen Staaten der Welt.



domradio.de: Wie sieht es hier in Europa aus?

Bielefeldt: Hier gibt es ein gewisses Ost-West-Gefälle. Russland hat eine sehr schikanöse Politik gegenüber Minderheiten, beispielsweise den Zeugen Jehovas. Auch in einigen anderen osteuropäischen Staaten gibt es Verbote von Missionstätigkeit, davon sind manchmal auch kleine protestantische Gruppen betroffen. In Westeuropa sieht es vergleichsweise gut aus. Auch in Deutschland. Aber auch hier hat die aktuelle Beschneidungsdebatte deutlich gemacht, welche Konflikte es in unserer Gesellschaft gibt und welche zum Teil massiven antireligiösen Ressentiments bestehen. Anlass zur Selbstzufriedenheit ist nicht gegeben.



domradio.de: Unter den religiös Verfolgten weltweit macht allein die Gruppe der verfolgten Christen 80 Prozent aus - warum stehen die Christen so häufig im Kreuzfeuer?

Bielefeldt: Bei Zahlen bin ich immer relativ zurückhaltend. Ich bin nicht sicher, wie wir diese Zahlen ermitteln und bewerten sollen. Sicher ist, dass viele Christen auch deshalb unter Druck sind, weil sie gleichzeitig Angehörige von ethnischen Minderheiten sind. Da gibt es vielfach Überschneidungen. Auch bei der Motivforschung sollten wir bedenken, dass es oft sehr komplexe Muster gibt. 4 natürlich ist sicher: Wir haben eine ganze Menge bedrohter christlicher Gruppen und Gemeinden in unterschiedlichen Ländern der Welt. Aber wo Christen diskriminiert werden, werden meistens auch andere diskriminiert.



domradio.de: Was erhoffen Sie sich von der Konferenz?

Bielefeldt: Ich finde es generell gut, dass dem Thema Aufmerksamkeit gewidmet wird, das braucht das Thema. Und ich gehe auch davon aus, dass es öffentliches Interesse gibt. Auch die Medien nehmen zunehmend Anteil. Das ist wichtig, damit auch das Schicksal der Betroffenen nicht vergessen wird und die Politik immer wieder einen gesunden Erinnerungsdruck erfährt.



Hintergrund: Die Konferenz "Zur internationalen Lage der Religionsfreiheit. Bedrohtes Menschenrecht?" der Hans Seidel Stiftung in Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft Sant’Egidio findet von Montag bis Dienstag (05/06.11.2012) in München statt.



Das Gespräch führte Matthias Friebe.