Caritas: Das Betreuungsgeld benachteiligt viele Familien

Nicht nur eine Frage des Geldes

Nach langem Gerangel hat sich Schwarz-Gelbe auf einen Kompromiss in Streitfragen verständigt. Zum 1. August 2013 soll nun das Betreuungsgeld kommen. Prälat Peter Neher erklärt im domradio.de-Interview, warum sich der Caritas-Verband andere Maßnahmen wünscht.

 (DR)

domradio.de: Zum 1. August im nächsten Jahr soll das Betreuungsgeld kommen, ein Jahr lang werden 100 Euro pro Monat gezahlt, ein Jahr später dann 150 Euro. Hilft das tatsächlich Familien?

Neher: Der Knackpunkt ist nicht in erster Linie die Höhe des Geldes. Problematisch ist die Kopplung an die Nicht-Inanspruchnahme öffentlich geförderter Kinderbetreuung. Wenn man die Erziehungsleistung der Eltern fördern will, muss das eigentlich für alle gelten - ganz unabhängig davon, welche Betreuungsform denn Eltern für ihre Kinder wählen.



domradio.de: Die SPD kritisiert den gestrigen Beschluss. Fraktionsgeschäftsführer Oppermann meint, man solle eher den Ausbau der Kinderbetreuung fördern, um Eltern eine Wahlfreiheit zu geben. Kann man Kitas so einfach gegen die Betreuung zuhause ausspielen?

Neher: Wir brauchen beides: ausreichende Kita-Plätze, aber auch eine finanzielle Unterstützung. Und das eine darf man nicht mit dem anderen zusammennehmen. Gerade auch Menschen, die die Kitas brauchen, um arbeiten gehen zu können und den Familienunterhalt zu sichern, dürfen nicht benachteiligt werden. Aber genau durch die vorliegende Form des Betreuungsgeldes passiert das.



domradio.de: Kritiker befürchten, dass vor allem Kinder aus sozial schwachen Familien von der frühkindlichen Bildung in den Kitas ferngehalten werden - befürchten Sie auch, dass sozusagen die "falschen" Kinder zuhause bleiben?

Neher: Ich spreche nicht gerne von falschen Kindern. Ich gehe davon aus, dass Familien das Allerbeste für ihre Kinder wollen. Natürlich sehen wir auch die Gefahr, dass Familien, die über wenig Geld verfügen, es unter Umständen für sinnvoller halten, auf einen Kita-Platz zu verzichten.



domradio.de: Die Kritiker aus Wirtschafts- und Sozialverbänden monieren außerdem, dass durch die Maßnahme vor allem Frauen von der Erwerbstätigkeit abgehalten werden. Halten Sie das für einen berechtigten Einwand?

Neher: Das halte ich für keine Argumentation. Es geht schon darum, dass Frauen die Möglichkeit haben, ihren Beruf auszuüben und deshalb eine Alternative benötigen. Aber alleine aus wirtschaftlichem Interesse finde ich keine geeignete Argumentation. Was wir viel mehr brauchen, ist eine Wirtschaft, die in die Pflicht genommen wird und familienfreundliche Arbeitsplätze schafft. Damit es möglich ist, zu arbeiten und Kinder zu erziehen. Familienpolitische Leistungen sind größer als nur finanzielle Aspekte. Auch die Arbeitgeber sind gefordert, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sorgen.



domradio.de: Wie könnte der Staat denn sinnvoller Familienpolitik betreiben?

Neher: Zusammen mit den Bischöfen, ZdK und dem katholischen Familienbund haben wir schon vor Wochen gefordert, dass das Elterngeld über das erste Jahr hinaus gezahlt werden sollte: mit 300 Euro als Sockelbetrag. Dann haben Eltern tatsächlich die Wahl zwischen Betreuung außerhalb und zuhause. Und dieses Geld darf nicht an die Nicht-Inanspruchnahme öffentlicher Betreuung gekoppelt werden. Darüber hinaus ist es eine gesellschaftliche Aufgabe: Es muss eine kinderfreundliche Atmosphäre entstehen. Die Geburt eines Kindes darf nicht das Ende der Karriere einer Frau bedeuten, es muss gesellschaftlich akzeptiert sein, Mutter zu sein und zu arbeiten - ohne mit dem Etikett Rabenmutter versehen zu werden. Und Väter müssen die Elternzeit nehmen dürfen, ohne im Betrieb als Weicheier bezeichnet zu werden. Diese Dinge gehen weit über das Finanzielle hinaus.  



Das Gespräch führte Mathias Peter.