Kardinal Meisner zieht positive Bilanz der Bischofssynode

"Komm, steigen Sie ein in mein Lebensvehikel"

Am Sonntag ging sie zu Ende: Die Weltbischofssynode zur Neuevangelisierung im Vatikan. Einer der deutschen Teilnehmer war der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner. Nach seiner Rückkehr aus Rom lud er domradio.de-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen ins Erzbischöfliche Palais und zog eine Bilanz der Synode.

Joachim Kardinal Meisner: Zur Verkündigung auf die Straße! / © Robert Boecker (DR)
Joachim Kardinal Meisner: Zur Verkündigung auf die Straße! / © Robert Boecker ( DR )

domradio.de: Drei Wochen lang haben sich Bischöfe aus aller Welt in Rom zur Weltbischofssynode getroffen. Das Thema Neuevangelisierung stand im Mittelpunkt. Mit dabei war natürlich unser Kölner Kardinal Meisner. Er ist jetzt wieder zuhause. Herr Kardinal, wie haben Sie die Weltbischofssynode erlebt?--
Kardinal Joachim Meisner: Als ein hoch interessantes Gremium, erfahrungsmäßig eine Partizipation am Episkopat der Weltkirche. Und das ist ein sehr beglückendes Gefühl und zeigt, für wen man alles geradezustehen hat, und die eigenen Probleme im eigenen Land relativieren sich erheblich. Auf der anderen Seite sind die Erfolge der anderen die eigenen Erfolge, und auch die Verluste der anderen sind die eigenen Verluste. Und dieses Teilen von Mühe und von Erfolg, von Freude und Versagen - das gibt ein ungeheures Gefühl der Stärke und der Ermutigung. Wir sind also hier nicht allein, sondern wir sind eingebunden in die katholische Weltkirche, die anderthalb Milliarden Gläubige umfasst.



domradio.de: Was haben die deutschen Bischöfe von Ihren Mitbrüdern gelernt, was können wir als Deutsche daraus lernen?--
Kardinal Joachim Meisner: Also, dass wir keinen Grund zum Klagen haben, dass unsere Probleme schon erheblich sind, aber das kein Grund besteht, unsere Fahne auf Halbmast zu flaggen, sondern es gibt viel schwierigere Situationen. Und ich muss es Ihnen einmal so sagen: In herzlicher Solidarität sind wir auch allen verbunden, die aus den sogenannten muslimischen Ländern kommen. Also die muslimischen Länder sind nicht alle gleich, aber in vielen Ländern, das wissen wir selbst, wie Syrien, Ägypten …, weiß die Kirche oft nicht, wie es weitergehen soll. Und für die, die ausharren, haben wir unsere Solidarität erklärt, für Syrien haben wir auch so eine Art ad hoc-Sammlung durchgeführt, jeder Bischof hat so viel er bei sich trug, in eine Kollekte gegeben. Auch als ein Zeichen: Wir lassen Euch nicht allein. Und eine kleine Delegation des Kardinalskollegiums oder überhaupt der Synode will zu einer gegebenen günstigen Zeit nach Syrien reisen, um den Christen zu sagen: Wir gehören zu Euch und wir stehen zu Euch.



domradio.de: Sie haben die Probleme in unserem eigenen Land angesprochen. Welche Impulse haben Sie mitgebracht, um vielleicht hier das immer schwierigere Verhältnis zwischen Gesellschaft und Kirche neu zu beleben - auch im Sinne der Evangelisierung?--
Kardinal Joachim Meisner: Erst einmal müssen wir die Welt so nehmen, wie sie ist. Und Säkularisation hat ja nicht nur einen negativen Touch, sondern hat auch einen sehr positiven. Das bedeutet nämlich, und das ist nur im Raum des Evangeliums möglich, dass Gott aus der Welt, nämlich in seine Transzendenz entlassen worden ist, dass man also konkret gesagt, die Berge und die Täler sind nicht von Göttern bevölkert, sondern die sind säkularisiert, die sind uns freigegeben, d.h. wir brauchen keine Angst zu haben, die Bodenschätze auszugraben, wenn wir die Berge aufgraben, dann graben wir den Göttern nicht die Bäuche auf, sondern das heißt, die Welt ist entmythologisiert worden, und nur dadurch konnten Technik, Naturwissenschaften und die ganzen Errungenschaften entstehen, es ist ja nicht umsonst so, dass es hier in einem europäisch-christlich geprägten Land oder Kontinent passiert ist, die Welt ist freigegeben dem Menschen in die Hände.



Aber Gott steht in Relation, es ist seine Welt und die Welt ist uns zu guten Händen übertragen, wir haben die Welt zu verwalten und wir dürfen von ihr leben - ganz im Sinne des Schöpfers. Und darum ist das eine hohe Verantwortung. Und das ist unseren Menschen wieder bewusst zu machen, gerade hier in unserer Gesellschaft, in Deutschland, wo wir so mit materiellen Gaben gesegnet sind, und doch ist unter uns oft so viel Unzufriedenheit und Neid und Missgunst - das Erste ist doch, dass wir dankbar sein müssen, dass die Fähigkeiten, die in unserem Volk stecken, genutzt werden; dass wir durch all die Mühen zur Solidarität kommen und dass wir uns vor allem wieder erinnern lassen, dass Gott lebt. Und indem wir Gott Gott sein lassen, bleibt die Welt Welt, das heißt unser Lebensraum; und der Mensch kann Mensch werden. Das heißt: Er ist geradezu ein Beauftragter Gottes, der die Schöpfung nicht als sein Eigentum betrachtet, sondern als das uns Anvertraute, mit dem der Mensch wuchern muss im Sinne des Schöpfers zugunsten der Mitmenschen.



domradio.de: Wie können wir denn unsere Mitmenschen, gerade auch hier in Deutschland, heutzutage erreichen? Das wird ja immer schwieriger. Haben Sie etwas gelernt, bei dem man vielleicht sagen kann: Da können wir konkret versuchen, den Glauben auch denen mitzuteilen, die ihn eigentlich verloren haben. --
Kardinal Joachim Meisner: Das gibt es ganz konkret. Und zwar hat davon meine Intervention gehandelt. Und ich bin sehr, sehr dankbar, dass ein einziger Bischof zu mir gekommen ist und gesagt hat: Herr Kardinal, ich bitte Sie um eine englische Kopie, das ist das einzige, mit dem ich als Bischof von Bangladesch etwas machen kann. Und da habe ich mir gedacht, wenn das in Bangladesch die einzige Möglichkeit ist, dann muss das ja in Köln und in Deutschland auch gehen. Und ich habe einfach die Apostelgeschichte wie der Philippus exegiert, das heißt, der Philippus stellt sich an den Rand der Straße, und jetzt kommt angefahren ein Äthiopier, der von einer Wallfahrt nach Jerusalem kommt und sich dort eine Devotionalie gekauft hat, eine Jesaja-Rolle, und die liest er. Und der Philippus steht am Straßenrand und fragt ihn: Verstehen Sie denn was Sie da lesen? Da antwortet der: Wie soll ich das denn verstehen, wenn mir das niemand erklärt? Können Sie das? Komm, steigen Sie ein in mein Lebensvehikel. Und da steigt Philippus ein und erklärt es ihm. Und als sie eine Zeit lang gefahren sind und Philippus erklärt hat, da kommen sie an ein Wasser und da sagt der Äthiopier: Komm, jetzt halten wir an, jetzt kannst Du mich taufen. Das heißt, das ist überall möglich, dass wir Christen an die Straße gehen, und in Deutschland allein sind von zehn Leuten, die wir treffen, acht auf dem Rückweg von irgendeiner christlichen, religiösen Sozialisation, in irgendeiner Weise. Und manchmal buchstabieren die herum: Wie ist das mit meinem gegenwärtigen Leben in Verbindung zu bringen? Wie kann mir das bei diesen Schwierigkeiten helfen? Und es ist niemand da, der sie fragt, weil wir Christen froh sind, wenn uns niemand fragt. Wir kommen nicht auf den Gedanken, andere zu fragen oder einzuladen, in ein Stück unseres Lebens einzusteigen. Dazu brauche ich kein theologisches Examen oder gar eine Promotion, ich brauche auch gar keine kirchliche Sendung; es muss etwas in meinem Leben geben, das deckungsgleich ist mit dem Evangelium. Das ist in Bangladesch möglich, und das ist auch in Deutschland möglich. Die Zauberformel, die ich jetzt unseren Medien sagen kann, wie wir jetzt praktisch die ganze Gesellschaft erreichen, die gibt es nicht. Aber das ist möglich, dass wir auf die Straße gehen, dass wir die Menschen fragen, dass wir ein Stück in ihr Leben einsteigen, dass wir sie ein Stück begleiten. Ich brauche gar nicht den ganzen Katechismus kennen, aber es muss in mir ein Lebensstück geben, das deckungsgleich ist mit dem Evangelium.



Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen (Chefredakteur domradio.de)

Hintergrund

Eine positive Bilanz der Bischofssynode in Rom haben die deutschen Teilnehmer auf einer Pressekonferenz im Vatikan gezogen. Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner bewertete die Synode als Vergewisserung, dass es eine "verpflichtende Teilhabe an der Freude und den Sorgen dessen gibt, was in der Weltkirche passiert. Die Synode ist ein Ausdruck von Solidarität. Neuevangelisierung ist vor allem zunächst Selbstevangelisierung. Der Mensch muss bei sich anfangen, den Glauben zu verstehen und zu verkünden." Kardinal Meisner betonte, dass diese Selbstevangelisierung zugleich Nächstenliebe bedeute. "Diese Nächstenliebe wiederum ist die Solidarität und das Mitfühlen und Mitbeten mit allen Christen in der Welt. Wir Bischöfe führen kein Solistendasein, sondern sind eingebunden in das Kollegium der Weltbischöfe." Die Verantwortung zur Evangelisierung liege bei jedem Gläubigen selbst. "Wir dürfen uns von keinem Auftrag des Evangeliums dispensieren, sondern müssen den Glauben mutig und nach außen sichtbar leben", so Kardinal Meisner. Der Kölner Erzbischof hob vor allem den selbstlosen Einsatz vieler Christen in der verfolgten Kirche hervor: "Hier wird ein lebendiges und aufopferungsvolles Zeugnis des Glaubens für das Evangelium gegeben. Gerade diesen Menschen gilt unsere besondere Solidarität." Übereinstimmend betonten alle deutschen Synodenteilnehmer, dass es in den Beratungen gelungen sei, die Säkularisierung nicht nur als Gefahr, sondern als Herausforderung und Chance für die eigene Verkündigungsarbeit zu sehen. Aus Deutschland nahmen an der Synode die Erzbischöfe Joachim Kardinal Meisner und Dr. Robert Zollitsch (Freiburg) sowie die Bischöfe Dr. Franz-Josef Bode (Osnabrück) und Dr. Franz-Peter Tebartz-van Elst teil. Seit dem 7. Oktober beraten 262 Bischöfe sowie 140 internationale Fachleute und Beobachter aus der ganzen Welt über das Thema "Die neue Evangelisierung für die Weitergabe des Glaubens". Die Synode endete an diesem Wochenende mit einem feierlichen Gottesdienst im Petersdom.



Während der Generaldebatten in der Bischofssynode in Rom hatten die deutschen Synodenteilnehmer ihre Statements abgegeben. Erzbischof Joachim Kardinal Meisner, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Dr. Robert Zollitsch und der Bischof von Osnabrück, Bischof Dr. Franz-Josef Bode, sprachen vor den Teilnehmern der Synode. Kardinal Meisner sagte in seiner Intervention: "[...] In Wirklichkeit schlägt sich ein überwiegender Teil der Menschen, zumindest in Europa, mit Fragen herum, von denen er nicht weiß oder wahrhaben will, dass es religiöse Fragen sind. Darum ist die Straße in unseren Städten und Dörfern der Ort für die Weitergabe des Glaubens. Und es braucht dabei nicht das Engagement eines hauptberuflichen Christentums, um Gottes Aufruf gehorsam zu sein." Der Erzbischof rief dazu auf, anderen Menschen zuzuhören, für sie mitzudenken und ihnen Weggenosse auf dem Weg zum Glauben zu werden.