Das Bonner Urteil lenkt einmal mehr Aufmerksamkeit auf den Salafismus

Viel Lärm um eine Splittergruppe

Wegen der Messerangriffe auf zwei Polizisten ist ein 26-jähriger Salafist zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ein angemessenes Urteil, meint auch Eren Güvercin. Im domradio.de-Interview erklärt der Publizist, wie der Salafismus funktioniert - und das öffentliche Bild des Islam verzerrt.

 (DR)

domradio.de: Das Urteil ist gefallen: sechs Jahre Haft, das ist schon eine Ansage. Wie bewerten Sie dieses Urteil?

Güvercin: Ganz unerwartet kommt es nicht, weil der Angeklagte gar keine Reue  vor Gericht gezeigt hat, sondern im Gegenteil die Verhandlung genutzt hat, um seine Ideologie loszuwerden. Einmal hat ihm der Richter sogar das Wort entzogen, weil er seine Tat religiös begründet und Deutschland mit Krieg gedroht hat. Deshalb ist das Urteil in dieser Höhe auch gerechtfertigt.



domradio.de: Der Verurteilte selbst rechnet sich ja nicht den Salafisten zu. Warum?

Güvercin: Das ist ein typisches Phänomen: Wenn man mit Salafisten diskutiert und ihre Gesinnung hinterfragt, weisen sie den Salafismus immer von sich. Der aus den Medien bekannte Prediger Pierre Vogel sagt auch, er sei kein Salafist. Aber man kann es nennen, wie man will: Wichtig ist die sektiererische Ideologie, die dahinter steckt. Ob man sich als Wahabit oder Salafist bezeichnet, ist nicht wichtig.



domradio.de: Salafisten geben sich als Vertreter der reinen Lehre aus. Und sie scheinen gerade bei Jugendlichen und jungen Menschen punkten zu können. Wie kommt das?

Güvercin: Ihre Prediger predigen auf Deutsch - und auch noch in der Sprache der Jugend. Und veröffentlichen ihre Predigten im Internet, beispielsweise über youtube. Hier begegnet ihnen die Jugend, ein Imam in den Moscheen hat nicht diesen Zugang. Man muss das nicht dramatisieren: Wir reden von 3000, 4000 Menschen, sagt der Verfassungsschutz; eine kleine Gruppe, die gut bei der Jugend ankommt. Dennoch müssen sich die übrigen Muslime schon fragen: Machen wir noch eine zeitgemäße Jugendarbeit?



domradio.de: Die Salafisten erregen vor allem in den Medien viel Aufmerksamkeit - und irgendwie erreichen sie damit ihr Ziel?

Güvercin: Wenn die Zeugen Jehovas ihre Broschüren in der Innenstadt verteilen, kräht kein Hahn danach. Als Salafisten vor wenigen Monaten den Koran verteilten, wurde geradezu hysterisch reagiert. Und dadurch hat man den Salafisten den größten Dienst erwiesen. Einen Dienst, den keine PR-Agentur dieser Welt mit Millionen Euro erreicht hätte. Pierre Vogel war damals in so ziemlich jeder Talkshow zu Gast. Es gibt auch andere junge Muslime, die aktiv sind und einen positiven Beitrag in der Gesellschaft leisten, aber in keiner Talkshow vorkommen. Dennoch bieten die Redaktionen lieber einem Pierre Vogel die Plattform ihrer Sendungen, weil er als schillernde Figur für gute Einschaltquoten sorgt.



Zur Person: Eren Güvercin ist freier Journalist und Autor. In diesem Jahr erschien im Herder Verlag sein Buch "Neo-Moslems. Porträt einer deutschen Generation".



Das Gespräch führte Aurelia Rütters.