Medizinethiker Ilkilic kritisiert Beschneidungsgesetz

Muslime wollen Nachbesserungen

Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf zur Erlaubnis der Beschneidung von minderjährigen Jungen beschlossen. Im Sorgerecht soll ein Paragraf eingefügt werden, wonach Eltern in den Eingriff einwilligen können, auch wenn er nicht medizinisch notwendig ist. Der Mainzer Medizinethiker Ilhan Ilkilic kritisierte, das Beschneidungsgesetz benachteilige Muslime. Ilkilic, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, spricht sich dafür aus, die Beschneidung nur Ärzten zu erlauben.

Beschneidungsgesetz kommt (KNA)
Beschneidungsgesetz kommt / ( KNA )

epd: Gut drei Monate sind seit Bekanntwerden des Kölner Urteils, das die religiöse Beschneidung als Körperverletzung gewertet hatte, vergangen. Ein Gesetz ist nun auf dem Weg. War es ein guter Prozess?

Ilkilic: Als Ethiker bin ich nicht dafür, dass alles gesetzlich geregelt wird. Ich wäre auch zufrieden gewesen, wenn die Praxis der Religionsgemeinschaften so weitergegangen wäre. Die erregte Debatte hat es aber nötig gemacht. Ich bin im Nachhinein dankbar, dass der Ethikrat zur Versachlichung der Debatte beigetragen und wichtige Perspektiven ergänzt hat. Diese Diskussion kann nicht naturwissenschaftlich und rein medizinisch entschieden werden.



epd: Der Gesetzentwurf berücksichtigt Empfehlungen des Ethikrats. Fehlt Ihnen etwas?

Ilkilic: Die Berücksichtigung des Kindeswohls, das mir besonders wichtig ist, hätte vielleicht noch stärker gemacht werden können. Nach Aussagen von Juristen müssen Kindeswohl und Kindeswille aber laut anderen Gesetzen ohnehin berücksichtigt werden. Dies trifft dann wohl auch hier zu. Mir ist nur wichtig, dass andere Gesetze bezüglich der Kinderrechte nicht durch das Beschneidungsgesetz ausgehebelt werden.



epd: Das Gesetz soll auch religiösen Beschneidern in den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes den Eingriff erlauben. Bei Juden, die die Beschneidung am achten Tag nach der Geburt vornehmen, kann also weiterhin ein Mohel praktizieren. Eine gute Regelung?

Ilkilic: Diese Regelung scheint mir allein für Juden gemacht zu sein, was ich nicht verstehe. Bei Muslimen werden die Jungen meist erst später beschnitten. Aus muslimischer Perspektive bedeutet dieser Passus also einen Nachteil. Es wurde extra betont, dass es keine Sonderregelungen für religiös motivierte Beschneidungen geben soll und nun wird eine Gruppe bevorzugt. Das ist ein Doppelstandard und der säkulare Rechtsstaat muss eine Antwort darauf geben, warum dies nötig ist.



Der Zeitraum scheint mir willkürlich gewählt. Auch aus medizinischer Sicht ist er nicht legitimiert. Der Mohel hat nur die Möglichkeit der lokalen Schmerzbetäubung. Während am achten Tag nach der Geburt auch ein Arzt keine Vollnarkose anwenden würde, weil das Risiko zu groß ist, sieht das nach wenigen Monaten schon anders aus. Ich würde es befürworten, wenn Beschneidungen immer vom Arzt vorgenommen werden müssen. Er kann ja gleichzeitig auch Mohel sein.



Das Interview führte Corinna Buschow (epd)





Hintergrund

Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf zur Erlaubnis der Beschneidung von minderjährigen Jungen beschlossen. Im Sorgerecht soll ein Paragraf eingefügt werden, wonach Eltern in den Eingriff einwilligen können, auch wenn er nicht medizinisch notwendig ist. Bedingung ist die fachgerechte Anwendung, eine umfassende Aufklärung, eine effektive Schmerzbehandlung sowie die Berücksichtigung des Kindeswohls und - soweit möglich - des Willens des Jungen.



Das Kölner Landgericht hatte die Beschneidung eines muslimischen Jungen aus religiösen Motiven als Körperverletzung gewertet. Bei Muslimen sowie bei Juden, die ihre Söhne als Aufnahmeritus am achten Tag nach der Geburt beschneiden lassen, sorgte die Entscheidung für Empörung. Nach einer erhitzten Debatte zwischen den Religionsgemeinschaften und Beschneidungsgegnern, zu denen unter anderem Kinderärzte gehören, forderte der Bundestag die Bundesregierung auf, ein Gesetz zur Erlaubnis des Rituals zu schaffen.



Der Entwurf aus den Bundesjustizministerium macht die religiöse Motivation ausdrücklich nicht zur Bedingung. Trotzdem wird die besondere Praxis von Juden, die den Eingriff oftmals von einem Beschneider (Mohel) vornehmen lassen, berücksichtigt. In den ersten sechs Monaten nach der Geburt kann dem Entwurf zufolge auch weiterhin eine Person, die nicht Arzt ist, beschneiden, solange dies fachgerecht geschieht.



Vertreter von Juden und Muslimen in Deutschland begrüßten die Gesetzespläne. "Das ist ein ausgesprochen lebenskluger, ausgewogener und fairer Gesetzentwurf" sagte der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Mittwochausgabe). "Hier wieder Rechtssicherheit zu schaffen, bedeutet Aufrechterhaltung der Religionsfreiheit und damit auch Rechtsfrieden in unserem Land", sagte der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, der Zeitung.