Protestmarsch von Flüchtlingen erreicht Berlin

Unterwegs gegen die Hoffnungslosigkeit

Ein ungewöhnlicher Marsch hat sein Ziel erreicht: Rund einen Monat nach dem Start in Würzburg sind rund 70 Flüchtlinge und ihre Unterstützer in Berlin angekommen. Sie fordern bessere Lebensbedingungen für Asylbewerber und eine Aufhebung der Residenzpflicht.

Autor/in:
Benedikt Angermeier
 (DR)

Auslöser des Protestmarsches, der am Freitag (05.10.2012) die Bundeshauptstadt erreichte, war der Selbstmord eines iranischen Asylbewerbers Anfang des Jahres in einem Würzburger Flüchtlingsheim. "Ohne Zweifel hat die deutsche Regierung Gesetze erlassen, die uns das Leben vergessen lassen und uns dazu bringen, nur noch in den Asylbewerberheimen zu überleben, immer mit der Angst, abgeschoben zu werden", begründen die Flüchtlinge ihre Aktion im Internet.



Unter den Demonstranten ist Houmer Hedagatzadeh. Der 23-jährige Iraner hat sich im bayerischen Cham angeschlossen. Nach einer Odyssee über die Türkei, Griechenland und Italien war er zuvor mit falschen Papieren nach Deutschland gekommen. Die Grenzbeamten entdeckten ihn in einem Zug und nahmen ihn fest. 400 Tage Haft im bayerischen Rosenheim, entschieden die Richter. Komplett absitzen musste er sie nicht, denn mit den 400 Euro, die er noch besaß, konnte er seine Haft verkürzen, wie er erzählt. Er wurde einem Asylbewerberheim in Cham zugewiesen. "Das Schlimmste ist, dass du am Ende nicht mehr über dein Leben entscheiden kannst", erklärt er.



Die Fremdbestimmung und das Warten auf Nachrichten von der Ausländerbehörde zermürben, wie Hedagatzadeh immer wieder versichert. "Die Hoffnungslosigkeit frisst sich in dein Herz, und am Ende verlierst du den Glauben, dass du ein Mensch bist. Du weißt es einfach nicht mehr", beschreibt der Iraner seine Gefühle im Asylbewerberheim. Auch Wut ist dabei, gerade mit Blick auf das Arbeitsverbot. "Sie verbieten dir, deine Intelligenz zu benutzen", empört er sich.



Flüchtlingsorganisationen helfen

Rückhalt finden die Asylbewerber bei vielen Flüchtlingsorganisationen. Denn ihre Forderungen sind nicht neu. Schon seit Jahren fordern Verbände und Politiker die Aufhebung der Residenzpflicht und einen Zugang der Asylbewerber zum Arbeitsmarkt. "Mit schlechten und menschenunwürdigen Unterkünften verbinden manche in Politik und Verwaltung offenbar die Hoffnung, Flüchtlinge zur Rückkehr zu bewegen zu können", bekundet die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth ihre Solidarität in einem Schreiben. Viele Protestierende sind von den Parteien in Deutschland enttäuscht.



Allerdings herrscht auch unter den Flüchtlingen keine Einigkeit, wie sich die Lage bessern könnte. "Aber wir können miteinander darüber reden", betont Hedagatzadeh. Auf dem langen Weg hatten sie viel Zeit dazu. Auch dadurch entkamen sie der Isolation und Hoffnungslosigkeit in den Asylunterkünften, wie der Iraner findet. Wie es genau weiter geht nach dem Protestmarsch, weiß auch Hedagatzadeh noch nicht. "Ich bin ein Mensch, das kann ich nicht ändern. Deswegen muss ich die Situation ändern", antwortet er auf die Frage. Diese Einstellung hat ihn am Leben gehalten, und daran glaubt er auch weiterhin.



Auf dem Berliner Oranienplatz ist nach dem Marsch ein "Protestcamp" geplant. Dort wollen sie darüber diskutieren, was weiter passieren soll. Auf eine Demonstration am 13. Oktober haben sie sich bereits geeinigt. Ob sie ihre Forderungen der Bundesregierung überreichen können, ist jedoch noch ungewiss.