Kardinal Marx zur Deutschen Einheit und ihrer Feier in München

"Vorspiel zur Einheit Europas"

In der St.-Michael-Kirche fanden die zentralen Feierlichkeiten zum 3. Oktober statt. Mit dabei: Reinhard Kardinal Marx. Im domradio.de-Interview blickte der Erzbischof von München und Freising vorher zurück und sprach über die Bedeutung der Einheit für das Zusammenwachsen Europas.

 (DR)

domradio.de: Der bundesweite Feiertag wird seit 1990 immer am 3. Oktober zelebriert. Was bedeutet es für sie, diesen Tag der Deutschen Einheit, in München auszurichten?

Marx: Für mich waren das Jahr 1989 und die Erfahrung der Einheit Deutschlands 1990 etwas emotional sehr Berührendes. Vielleicht war es im politischen Sinn das wichtigste Jahr, das ich erlebt habe. Als Jugendlicher habe ich nicht daran geglaubt, den Tag der Einheit Deutschlands noch zu erleben. Für den 3. Oktober bin ich sehr dankbar. Noch im September war ich mit Studenten auf dem Weg nach Santiago unterwegs. Bei einem Nachtreffen in Dortmund saßen wir dann mit großem Staunen vor dem Fernseher und sahen die Bilder vom Zusammenbruch der Mauer.



domradio.de: Sie feiern den Tag der Deutschen Einheit mit einem ökumenischen Gottesdienst mit dem evangelischen Landesbischof für Bayern, Heinrich Bedford-Strohm. Woran werden sie erinnern?

Marx: Michael ist der Patron der Deutschen in der katholischen Tradition. Und wir feiern ja in St. Michael. Hier werde ich daran erinnern, dass wir ein großes Geschenk erhalten haben. Ein Geschenk, aus dem wir einen Auftrag ableiten müssen: die Einheit zu gestalten, ergänzt und erweitert durch den Auftrag, den wir in Europa haben. Und natürlich feiern wir den Gottesdienst als Christen, die einen besonderen Auftrag haben. Ein Gottesdienst ist zunächst einmal die Bitte an Gotte, unser Bemühen mit seinem Segen zu begleiten. Den Politikern auch den Segen Gottes für ihre Arbeit zuzusprechen, ist sehr wichtig.



domradio.de: Eine ähnliche Einigung wie die Deutschlands versucht gerade auch Europa zu stemmen. Welche Parallelen erkennen Sie dabei?

Marx: Es gibt Parallelen. Nur ist Europa ein noch größeres Projekt - aber auch ein einfacheres: Wir sind als demokratische Länder zusammen, niemand wird gezwungen. Die Deutsche Einheit kam zunächst auch deshalb nicht zustande, weil sich ein Teil Deutschlands in kommunistischer Unterdrückung befand und nicht eigenständig entscheiden konnte. Das ist vorbei. Aber sich in Freiheit zu einigen, ist auch eine gewaltige Aufgabe. Sich in einem Kompromiss nach vorne zu bewegen und dabei Solidarität zu üben, eine Schicksalsgemeinschaft zu werden und das in den politischen Institutionen zu zeigen. Vielleicht ist das die zentrale Aufgabe des 21. Jahrhunderts - auch global. Denn es geht bei der Einheit Europas auch darum, einen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten. Die Deutsche Einheit war das Vorspiel zur größeren Einheit, die es in Europa noch geben muss.



Hintergrund: Am Dienstag haben in München die zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit begonnen. Die zweitägige Veranstaltung ist als Bürgerfest angelegt, zu dem 500.000 Besucher erwartet werden. Der offizielle Teil beginnt am 3. Oktober mit einem prominent besetzten ökumenischen Gottesdienst in der St.-Michaels-Kirche. Unter anderem werden Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und der amtierende Bundesratspräsident Horst Seehofer (CSU) erwartet. Im Anschluss finden ein Festakt und der Empfang des Bundespräsidenten im Nationaltheater statt.



Das Gespräch führte Monika Weiß.