In der "Vatileaks"-Affäre beginnt der Prozess gegen den untreuen Butler

Einzeltäter oder Verschwörung gegen den Papst?

Seit Jahresbeginn hatte die Veröffentlichung vertraulicher Papstdokumente international Irritationen und Spekulationen ausgelöst. Nun beginnt das Verfahren in der sogenannten "Vatileaks"-Affäre. Der Prozess muss klären, ob der Angeklagte tatsächlich ein Einzeltäter war.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Etwas abseits zwischen Tankstelle, Bahnhof und Abessinischem Kolleg liegt ganz im Süden des Vatikanstaates der "Palazzo dei Tribunali". Den größten Andrang erlebt der monumentale Gerichtspalast normalerweise Ende Januar, wenn der vatikanische Generalstaatsanwalt das Gerichtsjahr eröffnet und den Status der Gerichtsbarkeit des Kleinstaates präsentiert - die sich vor allem mit Taschendieben und Trickbetrügern vom Petersplatz befasst. Seit Samstagmorgen tagt in dem Palazzo, in dem auch die vatikanische Gendarmerie ihren Sitz und die Beichtväter des Petersdoms ihre Wohnung haben, der "Vatileaks"-Prozess: das Verfahren gegen den päpstlichen Kammerdiener Paolo Gabriele wegen schweren Diebstahls. Dafür sieht das Vatikangesetz bis zu acht Jahre Haft vor.



Seit Jahresbeginn hatte die Veröffentlichung vertraulicher Papstdokumente - zunächst in einzelnen TV- und Presseberichten, dann gebündelt als Buch - international Irritationen und Spekulationen ausgelöst. Gemutmaßt wurde über einen frustrierten Einzeltäter, über eine ausländische Diffamierungskampagne oder eine Verschwörung höchster Vatikanstellen gegen den Papst oder gegen Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Die These vom Komplott hielt sich auch noch, als Ende Mai der Papstbutler verhaftet wurde. Die vatikanische Gendarmerie hatte in seiner Wohnung stapelweise Geheimdokumente gesichert.



Zehn Wochen lang stellten vatikanische Justiz und Gendarmerie Vorermittlungen an. Parallel dazu gingen drei vom Papst ernannte Kardinäle als Quasi-Kommissare dem Geheimnisverrat nach. Zeugen wurden befragt, nach Beteiligten oder Hintermännern geforscht. Vor allem versuchte man, Gabrieles Motive zu ermitteln.



Person mit "instabiler Identität"

Er habe dem Papst und der Kirche helfen wollen, auf den richtigen Weg zurückzufinden, gab er zu Protokoll. In ihm seien Unmut und Frust über Missstände und Korruption im Vatikan gewachsen. Er fühlte sich "in gewisser Weise vom Heiligen Geist infiltriert" und erwartete sich von einem "Medienschock" eine heilsame Wirkung.



Ein psychiatrisches Gutachten schildert ihn als Person mit "instabiler Identität"; als manipulierbaren Menschen mit einfacher Intelligenz und Hang zur Paranoia - aber in jedem Fall als schuldfähig. Mitte August entschied Richter Piero Antonio Bonnet, dem Butler offiziell den Prozess zu machen. 14 Jahre nach der Ermordung des Schweizergarde-Kommandanten Alois Estermann hat seine Behörde damit erneut einen spektakulären Fall.



Warum?

Der Prozess tagt öffentlich; die begrenzten Räumlichkeiten lassen freilich nur acht Pressevertreter zu. Fotografen und TV-Vertreter bleiben außen vor. Verhandelt wird auch gegen einen mit Gabriele befreundeten Informatiker des Staatssekretariats, Claudio Sciarpelletti - allerdings nur wegen Behinderung der Justiz; er gilt nicht als Komplize. Leiter des Verfahrens ist Giuseppe Dalla Torre del Tempio di Sanguinetto, der Präsident des Tribunals der Ersten Instanz.



Beobachter erwarten sich von dem Prozess Antwort auch auf jene Fragen, die im Schlussbericht nach der Vorermittlung offen blieben. Dort hatte sich gezeigt, dass Gabriele nicht nur vertrauliche Dokumente, sondern auch materielle Werte mitgehen ließ, etwa Gold und eine wertvolle Buchausgabe. Weiter war in dem Text vage von anderen Personen die Rede, die in den Geheimnisverrat involviert sei könnten oder zumindest davon gewusst haben - etwa sein geistlicher Berater.



Der Prozess muss klären, ob Gabriele tatsächlich ein Einzeltäter war, wie ihn seine Verteidigerin Cristiana Arru darstellt. Der Butler selbst sprach - als vermummter Zeuge in einem TV-Interview - von rund 20 Gesinnungsgenossen. Das Verfahren muss erhellen, warum Gabriele offenbar bald nach Dienstantritt 2006 brisante Dokumente vom Schreibtisch seines Dienstherrn kopiert und gesammelt hat. Man erwartet sich Aufschluss darüber, ob jemand seinen Frust kanalisiert - und wer ihn mit dem Enthüllungsjournalisten Gianluigi Nuzzi zusammengebracht hat. Schließlich muss sich zeigen, ob nicht doch Geld oder Geheimdienste eine Rolle spielten. Die Dauer des Prozesses ist offen.