Der dritte Tag im "Vatileaks"-Prozess

Ein Bonbon für den Angeklagten

Es wird der erwartete kurze Prozess: Das Urteil in der gut 73-jährigen Geschichte des Vatikanstaates bislang einmalige sogenannte Vatileaks-Verfahren soll am Samstag gesprochen werden. Das kündigte das Vatikangericht am Mittwoch, dem dritten Verhandlungstag, an.

Autor/in:
Thomas Jansen
 (DR)

Paolo Gabriele sitzt seinem Opfer direkt gegenüber. Er könnte ihm in die Augen schauen, dem Mann, von dem er sagt, er liebe ihn wie ein Sohn seinen Vater - und den er dennoch verraten hat. Er tut es nicht, während der gesamten Sitzung nicht. Benedikt XVI. lächelt gütig. Sein Foto hängt an der Wand des vatikanischen Gerichtssaals. Es ist das übliche amtliche Porträt, der Papst ganz in Weiß mit Scheitelkappe. Gabriele selbst sitzt auf einer dunklen Holzbank, im grauen Anzug und mit grauweiß gestreifter Krawatte. Früher, als er noch vor dem Papst im Papamobil saß, wäre das schon zu gewagt gewesen.



Mittwoch, 9.10 Uhr, im vatikanischen Justizpalast. Die dritte Sitzung beginnt in einem Prozess, der in der gut 73-jährigen Geschichte des Vatikanstaates bislang einmalig ist: Ein früherer päpstlicher Kammerdiener muss sich wegen des Diebstahls vertraulicher Dokumente vor Gericht verantworten. Vier Gendarmen sind als Zeugen geladen; alle waren an der Durchsuchung von Gabrieles Wohnung am 23. Mai beteiligt. "Die Sitzung ist eröffnet", sagt Giuseppe Dalla Torre. Der Präsident des Gerichts trägt eine schwarze Robe, die mit ihren goldgewirkten Epauletten jede deutsche Richtertracht mühelos in den Schatten stellt. Dalla Torre, im "richtigen Leben" ein angesehener römischer Jura-Professor, leitet die Verhandlung. Zu seiner Rechten und Linken sitzt jeweils ein Richter. Manchmal flüstern sie dem honorig wirkenden Herrn etwas zu.



"Ich schwöre beim heiligen Evangelium, dass ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sage". So lautet die Eidesformel, die Stefano De Santis, Silvano Carli, Luca Bassetti und Luca Cintia mit der Hand auf der Bibel sprechen müssen. Sie treten einzeln ein und verlassen den Saal sofort nach ihrer Aussage wieder. Spektakuläre Neuigkeiten gibt es nicht: Die Zeugen berichten von Unterlagen über Yoga, Geheimdiensten und Buddhismus, unter denen sich die vertraulichen Dokumente gefunden hätten. Und schließlich fehlt auch der Hinweis nicht, man habe sich beeilt, die Kinderzimmer zu durchsuchen. Die "bambini" hätten ja schließlich ins Bett gemusst.



Unter dem Bild von Benedikt XVI. hört den Zeugen ein älterer, nachdenklich wirkender Herr zu. Es ist Nicola Picardi. Sein offizieller Titel ist respekteinflößend: "Promotore di Giustizia" - "Förderer der Gerechtigkeit", eine Art vatikanischer Staatsanwalt. Er schweigt während der Vernehmungen. Zusätzliche Fragen stellt allein Gabrieles Verteidigerin.



Justitia steht im Vatikan im Schatten des Petrus: Das vatikanische Gericht befindet sich an der Rückseite des Petersdoms, an der Piazza Santa Marta. Der Weg führt vorbei am Campo Santo, dem deutschen Friedhof, der Mosaikwerkstatt der Dombauhütte und der vatikanischen Tankstelle. Über dem Eingang des Justizpalastes prangen die päpstliche Tiara und die gekreuzten Schlüssel Petri. Wo normalerweise jedoch das Wappen von Benedikt XVI. mit Korbiniansbär und Freisinger Mohr zu sehen ist, breitet ein Adler seine Flügel aus. Auch eine Statue der Justitia fehlt im Gerichtsgebäude. Am Eingang zum Verhandlungssaal steht ein Metalldetektor. Handys müssen abgegeben werden.



Gabriele wirkt während den Vernehmungen ruhig und gefasst. Vernehmbar spricht er nur einmal: Als seine Verteidigerin Cristina Arru den Saal betritt, steht er auf und sagt laut: "Guten Morgen". Später reicht ihm Arru eine gelbe Tüte, vielleicht Bonbons oder Kaugummis. Gabriele bedient sich. Im Verlauf der Sitzung zeichnet sich nur zweimal ein Lächeln auf seinem Gesicht ab. Einmal, als ein Gendarm von dem wüsten Sammelsurium berichtet, das in seiner Wohnung sichergestellt wurde. Ein anderes Mal, als ein Polizist aussagt, dass sich Gabriele dafür bedankt habe, wie die Gendarmerie ihn und seine Familie während der Haft behandelt habe.



Nach knapp eineinhalb Stunden, um 10.20 Uhr, ist die Sitzung beendet. Der nächste und letzte Prozesstag sei für Samstag angesetzt, teilt der Gerichtspräsident mit. Rund 300 Meter entfernt steht am Petersdom schon das Papamobil fahrbereit: Um 10.30 Uhr beginnt die Generalaudienz. Alltag im Vatikan - nun ohne Gabriele.

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