Tag des Flüchtlings

Ohne Lobby fern der Heimat

Gewalt, Armut und Hoffnungslosigkeit treiben Jugendliche aus Afghanistan, Afrika oder Russland nach Deutschland. Mehr als 2.000 kamen im vergangenen Jahr - allein, ohne ihre Familien. Asylexperten fordern für die jungen Flüchtlinge bessere Chancen.

Autor/in:
Holger Spierig
 (DR)

Briseld weiß nicht, wo seine Mutter ist oder wie es ihr geht. Irgendwo auf der langen strapaziösen Flucht aus Albanien wurde der heute 17-Jährige von ihr getrennt. Ohne Geld und ohne Sprachkenntnisse kam Briseld über die deutsche Grenze. Auch der 17-jährige Said aus Afghanistan hat eine Odyssee hinter sich. Von den Eltern bezahlte Schlepper brachten ihn über die Türkei und Albanien zunächst bis nach Griechenland. Nach mehreren Monaten wurde er von dort nach Deutschland geschleust.



Briseld und Said leben jetzt vorübergehend im Haus Libanon der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld, einer von rund 20 sogenannten Clearingfachstellen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die Anlaufstellen für erste Hilfen klären die weitere Perspektive für die jungen Menschen, die aus Afghanistan, dem Irak, Äthiopien, Guinea oder aus russischen Teilrepubliken kommen.



Einige Jugendliche werden von Schlepperorganisationen direkt vor einer Ausländerbehörde abgesetzt, andere bis vor die deutsche Grenze gebracht. "Wir nehmen die jungen Leute dann hier in Obhut", erklärt Klaus Närdemann vom Haus Libanon in Bethel. Bis zu drei Monate lang - dann soll geklärt sein, wie es für die jungen Flüchtlinge weitergeht.



"Diese Menschen haben keine große Lobby"

Die Jugendlichen werden medizinisch untersucht, mit Hilfe von Dolmetschern werden Herkunft und Familienverhältnisse geklärt. In dieser Übergangszeit erhalten sie auch Sprach- und Schulunterricht. Und sie lernen, wie man in Deutschland einkauft, kocht, die Straßenbahn benutzt oder mit Behörden umgeht.



Die Anlaufstelle in Bethel mit 20 Plätzen gibt es seit einem Jahr. "Diese Menschen haben keine große Lobby", begründet Leiter Närdemann sein Engagement. "Wenn sie hier ankommen, haben sie eine Menge auf sich genommen und fast alles zurückgelassen." Die Gründe für die Flucht sind bei allen ähnlich: Bürgerkriege, Stammesfehden oder auch bittere Armut in der Familie.



Was ihre Lage noch schwieriger macht: Wenn die eingereisten Jugendlichen bereits in einem anderen europäischen Land als Flüchtlinge registriert sind, können sie von den Ausländerbehörden nach dem sogenannten Dublin-Abkommen in diese Länder zurückschickt werden.



Mit viel Glück können die Jugendlichen nach der Übergangszeit in Deutschland einen Schulabschluss und eine Ausbildung machen. Dafür müssen sie aber entweder Asyl erhalten oder eine humanitäre Duldung - wie Briseld. Nachdem sein Asylantrag abgelehnt worden war, erhielt er eine Duldung, die aber immer nur eine begrenzte Zeit gilt.



Eingeschränkte Lebensperspektive

Aus Sicht des Bundesfachverbands für Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge ist das keine gute Lösung: Das führe in der Regel zu Kettenduldungen und schränke die Lebensperspektive massiv ein, kritisiert Niels Espenhorst von dem Fachverband in Berlin. Rund 3.700 registrierte jugendliche Flüchtlingen kamen laut Verband im vergangenen Jahr nach Deutschland - rund die Hälfte aus Afghanistan, einige hundert aus dem Irak, etwa hundert aus Syrien. Rund 2.100 beantragten Asyl.



Aus Sicht von Flüchtlingsexperten müsste für die Jugendlichen vor allem das Alter der rechtlichen Handlungsfähigkeit auf 18 Jahre heraufgesetzt werden. Solange die Flüchtlinge mit 16 Jahren nach dem Ausländerrecht schon als rechtlich verantwortlich gelten, können sie in einem Asylverfahren landen, bevor sie vom Jugendamt betreut werden, wie Dietrich Eckeberg warnt, Flüchtlingsreferent des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe. Die Vorstellung, dass sich ein 16-Jähriger aus Afghanistan gleich im deutschen Behörden-Dschungel zurechtfinde, sei jedoch absurd.



Nach dem Jugendrecht müssten alleinstehende Kinder automatisch in Einrichtungen der Jugendhilfe kommen, etwa in ein Jugendheim, erklärt Eckeberg. Tatsächlich sei es jedoch so, dass diese Jugendlichen überwiegend in Asylverfahren gedrängt würden. "Dann kommen sie in Erwachsenenunterkünfte, die weder jugendgerecht sind noch Kindern Schutz bieten." Zwar gebe es rechtliche Regelungen für den Schutz von jugendlichen Flüchtlingen. "Diese gesetzlichen Verpflichtungen müssen jedoch endlich auch deutschlandweit umgesetzt werden."



"Gute Ansätze dafür sieht Eckeberg in Nordrhein-Westfalen. In einer Kommission beim Jugendministerium erarbeiten Experten aus der Flüchtlingsarbeit und der Jugendhilfe gerade einen Leitfaden für die Jugendämter. "Ziel ist es, die Ämter über die Verpflichtung, die Jugendlichen in Schutz zu nehmen, so umfassend zu informieren, dass sie es auch tun", erläutert Eckeberg.



Briseld träumt davon, in Deutschland zu bleiben und eine Ausbildung für die Wartung von LKWs zu machen. Said möchte gerne Heizungsinstallateur werden. "Die jungen Leute sind hoch motiviert", sagt Närdemann. "Diszipliniert und begierig darauf, zu lernen."