Weihbischof Losinger zum neuen Armutsbericht

Für eine gerechte Steuerordnung

Die Deutschen sind so reich wie nie. In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Privatvermögen mehr als verdoppelt. Das sagt der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Aber: Mehr als die Hälfte dieses Geldes gehört den oberen zehn Prozent. Die Schere zwischen Arm und Reich geht also immer weiter auseinander. Was bedeutet das für die Gesellschaft? Der Augsburger Weihbischof Dr. Anton Losinger, Mitglied im Nationalen Ethikrat, im domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Die untere Hälfte der Bevölkerung, die besitzt grade mal ein Prozent des Gesamtvermögens. Wie kann es denn in einer Gesellschaft, die sich doch eigentlich noch immer den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft verpfllichtet fühlt,  zu so einem drastischen Ungleichgewicht kommen?

Weihbischof Losinger: Die letzten zehn Jahre haben auch in dem System der sozialen Marktwirtschaft enorme Gewinne ermöglicht für Leute, die investieren konnten. Und das führt in der Tat zu dieser Schere, die sowohl bei den Einkommen, vor allem aber bei den Vermögen eine Schere auseinandergehen ließ, sodass zehn Prozent der Menschen die Hälfte des Vermögens besitzen. Das hat enorme Konsequenzen und zwar überall dort, wo eine solche Vermögensspaltung letztendlich soziale Konsequenzen auslöst, verschärfte Armutsrisiken mit sich bringt und damit letztendlich auch den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft stört, den ja die Idee der sozialen Marktwirtschaft mit der Idee des Ausgleichs und des sozialen Friedens ganz zentral erreichen wollte.



domradio.de: Reichtum sollte ja gleichzeitig immer auch verpflichten - wie beurteilen Sie das Verantwortungsbewusstsein der Reichen in Deutschland für die Gesellschaft?

Weihbischof Losinger: Die Frage des Verantwortungsbewusstseins der Reichen, denn wir haben ja im Grundgesetz ja auch das Prinzip "Gemeinwohl verpflichtet" neben dem Prinzip des Privateigentums, das bedeutet: Wer Vermögen und hohe Einkommen hat, hat auch eine soziale Mitverantwortung für das Ganze. Das wird in einer Wirtschaftsordnung wie der der sozialen Marktwirtschaft zunächst einmal durch eine Steuerordnung gewährleistet und hier sind, gemessen an der persönlichen Leistungsfähigkeit, Steuersätze so zu regeln, dass sie eine Symmetrie in der Gesellschaft aufrecht erhalten. Paul Kirchhof, der bekannte Jurist und Steuerexperte, schrieb ja ein Buch mit dem Titel "Deutschland im Schuldensog". Denn während gleichzeitig zehn Billionen Euro Vermögen sich in der Hand von Privatleuten anhäufte, ist das Vermögen des Staates auf 800 Milliarden abgesunken. Und wenn man derzeit auch nach der Bankenkrise sieht, welche immense Verantwortung auch staatliches Handeln für die Systeme der sozialen Sicherheit erbringen muss, dann ist hier die Ungleichgewichtigkeit sehr deutlich.



domradio.de: "Armer Staat - reiche Bonzen" - so titelt heute das öffentlich-rechtliche Fernsehen  - da läuft doch ganz offensichtlich irgendwas furchtbar falsch, oder?

Weihbischof Losinger: Ohne dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorzugreifen, muss man sagen: Einkommen und Vermögen haben eine ganz entscheidende Funktion für das Leben von Bürgern in einer Gesellschaft. Sie müssen nicht nur die Gestaltung des täglichen Lebens ermöglichen, auch etwa die Versorgung von Kindern, Bildung, etc., sondern es geht auch um die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme gegen die Grundrisiken des Lebens, nämlich Rente, die Arbeit und damit Absicherung gegen Arbeitslosigkeit und Absicherung gegen Krankheit. Und wer hier derzeit das aktuell diskutierte Thema der möglicherweise drohenden Altersarmut sieht, der muss sagen: Eine solche strukturelle, dramatische Ungleichverteilung der Vermögen und Einkommen, das wird sich später einmal auch auf die Alterssicherung auswirken, wenn Menschen nicht die Möglichkeit geschaffen wird,  durch Vermögen und Einkommen an der Alterssicherung zu arbeiten.



domradio.de: Vor diesem Szenario der größer werdenden sozialen Unterschiede - in welcher Rolle sehen Sie da die katholische Kirche?

Weihbischof Losinger: Die katholische Kirche ist nicht der Staat, ist auch nicht das Finanzamt und ist auch nicht das Arbeitsamt, sondern die katholische Soziallehre ist immer ein Gefüge von Sätzen gewesen, die gerechte Strukturen in einer Gesellschaft anmahnen. Das kann und muss die katholische Soziallehre, gerade auch im Blick auf die Grundideen des Systems der sozialen Marktwirtschaft, tun. Und ich würde einige Ratschläge durchaus geben. Erstens muss die katholische Soziallehre eine gerechte Steuerordnung anmahnen. Reiche dürfen sich in einem Steuersystem nicht künstlich arm rechnen dürfen. Zweitens: Wir müssen gerechte Start- und Verteilungsstrukturen schaffen für junge Menschen, die auf die Welt kommen. Es kann nicht ein Erbrecht existieren, bei dem ein Kind gegenüber dem anderen massiv benachteiligt ist, nur weil es andere Eltern hat. Und schließlich: Wenn man auch das Element der Leistungsgerechtigkeit bei Vermögen und Gehältern anschaut: Wer mag mir erklären, dass die Arbeit eines Vorstandsvorsitzenden mehr als 50 Mal so viel wert sein soll wie die eines Facharbeiters? Deswegen würde ich sagen, gerechte Strukturen im Bereich der Steuern, das muss sozial marktwirtschaftlich neu bedacht werden.



Das Interview führte Hilde Regeniter.