Kölner Pfarrer Meurer empfiehlt Schweizer Rentensystem

Von der Schweiz Solidarität lernen

Zu mehr Solidarität im Rentensystem ruft der bekannte Kölner Pfarrer Franz Meurer auf. Das Schweizer Modell verwirkliche laut Meurer vielmehr den Grundgedanken der christlichen Soziallehre. Im domradio.de-Interview spricht er über die Situation in seiner Gemeinde im Sozial-Brennpunkt Höhenberg-Vingst. Zur privaten Rentenvorsorge bleibe jungen Leute dort nichts übrig.

 (DR)

domradio.de: Ist die sinkende Geburtenrate entscheidend dafür, dass viele Menschen ihren Lebensabend in Armut verbringen werden oder sind es schlicht die Löhne, die nicht stimmen?

Pfarrer Meurer: Beides stimmt. Im Jahr 2035 hat jeder zweite Deutsche keine Kinder und jeder Fünfte überhaupt keine Verwandten, wer soll dann die alten Menschen unterstützen? 20 Prozent der Menschen bei uns haben einen niedrigen Lohn, einen Lohn der zur Armut führt. Der Kick ist folgender: Kardinal Höffner hat maßgeblich die dynamische Rente erfunden und durchgesetzt. Die dynamische Rente ist an das Erwerbseinkommen gebunden, wenn der Lohn steigt, dann steigt auch die Rente. Wenn es wenige Leute gibt, die Geld verdienen, kann es auch nur wenig Rente geben, so einfach ist das. Mein Ding ist: Wir müssen uns in Richtung der Schweiz entwickeln. Die Schweiz hat eine Basisrente, wo wirklich alle einzahlen, also auch die Hausfrauen, die Beamten, die Selbständigen. Eine breite Solidarität - der Grundgedanke der christlichen Soziallehre ist in der Schweiz viel besser verwirklicht. Man kann natürlich sagen, lassen wir doch alles steuerfinanzieren, aber dann würde der Grundsatz, dass die Beitragszahler in der Rentenversicherung ein eigenes Korpus bilden, praktisch dafür sorgen, dass der Generationenvertrag funktioniert, aufgelöst. Hier kommen wir zu einem Grundsatz unseres Staats- und Gesellschaftsverständnisses, ob man das Vertrauen, ich werde versorgt, ob man das bei der Rente sicherstellen kann. Norbert Blüm, wir kennen alle seinen tollen Spruch "die Rente ist sicher". Da würde ich gerne mit ihm drüber sprechen, ich schätze ihn sehr.



domradio.de: Kann ein junger Mensch denn heute für die Rente finanziell vorsorgen und Geld zur Seite legen? Welche Erfahrung haben Sie in Ihrer Gemeinde gemacht?

Pfarrer Meurer: Selbstverständlich nicht! Wir wissen alle, dass es viele Praktikantenstelle gibt, die sogar unbezahlt werden. Mein Hauptproblem ist aber, ich sehe immer aus meinem Fenster wie alte Menschen in den Mülleimern herumstochern, Flaschen und Essbares suchen. Das ist ein Problem. Wir geben jede Woche an über 500 Leute, meistens ältere Menschen, Lebensmittel aus. Das finde ich schlimm. Ich bin eigentlich ein Gegner davon, aber sie sagen, bitte, macht es doch. Damit wir noch etwas Zubrot haben. Wir stehen ja vor der großen Frage, wie wollen wir unsere Gesellschaft gestalten? Da ist die Rentenfrage eigentlich gar nicht schlecht, dass Frau von der Leyen diese Frage jetzt aufwirft und gerade die Frage der Altersarmut. Dadurch wird den Leuten plötzlich klar, das hängt ja zusammen. Wo es Kinderarmut gibt, wo fast nichts verdient wird, wo alleinerziehende Mütter zu über 50 Prozent armutsgefährdet sind, kann auch nichts in die Rente einbezahlt werden. Die Rente ist ja keine kapitalisierte Vorsorge, das kann man ja machen, obwohl das momentan auch nicht so wunderbar läuft, sondern sie basiert ja nur auf Vertrauen. Diejenigen, die jetzt arbeitsfähig sind, kümmern sich um die Alten. Umgekehrt kann man natürlich sagen, die einzig sinnvolle Investition in die Zukunft sind Kinder. Wer keine Kinder hat, ist im Alter arm dran.



domradio.de: Die Rentenfrage und der Geburtenrückgang gehören für Sie also eng zusammen. Was müsste sich denn daran ändern?

Pfarrer Meurer: Es sind zwei Seiten einer Medaille. Es muss in der Gesellschaft begriffen werden: Alles, was wir in Kinder investieren, nützt uns allen gemeinsam. Da bin ich aber sehr positiv gestimmt, weil das immer deutlicher wird. Zweitens, wer 30-40 Jahre ordentlich gearbeitet hat, der muss auch eine ordentliche Rente bekommen. Im Kern geht es darum, ob sich Loyalität auszahlt. Das heißt wenn ich fleißig, treu und pünktlich arbeite, ob ich dann die Chance habe, meine Familie vielleicht durch zwei Einkommen ernähren zu können und im Alter versorgt zu sein. Das ist ein großes Problem und diese Loyalität, dass man sich aufeinander verlassen kann, also ein Gesellschaftsvertrag, der auf Vertrauen basiert, ist, wenn man so will, das Optimum unserer Soziallehre.



Das Interview führte Christian Schlegel (domradio.de)