Moraltheologe Schallenberg zur deutschen Verantwortung in der Eurokrise

"Legal und sinnvoll"

Den Beitritt Deutschlands zum dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM hält der Moraltheologe Schallenberg für verantwortbar. Das sei " legal und sinnvoll" und Teil davon, "dass wir mit anderen Staaten zusammen im Boot sind". Im domradio.de-Interview blickt er auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ESM.

 (DR)

domradio.de: Neben den 190 Milliarden Euro bürgt Deutschland auch noch für die Europäische Zentralbank, so dass wir jetzt von über 240 Milliarden Euro sprechen. Kann man das noch verantworten?

Schallenberg: Ja, ich meine schon, dass man das verantworten kann, wenn dieser Rahmen eingehalten wird. Das Bundesverfassungsgericht hat das ja deutlich gemacht. Es ist auch nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, diese Politik zu gestalten oder zu beurteilen, was die Sachlage angeht, sondern es hat sich korrekterweise auf seine Kompetenz beschränkt. Und die Kompetenz ist, klarzustellen, dass dieses Verfahren zunächst rechtmäßig ist und dann der Politik den entsprechenden Rahmen vorzugeben. Insofern halte ich das für gerechtfertigt und auch, was die inhaltliche Frage angeht, jedenfalls in diesem Rahmen, für legal und sinnvoll.



domradio.de: Was wäre denn Ihrer Meinung nach passiert, wenn das Bundesverfassungsgericht den ESM als verfassungswidrig eingestuft hätte?

Schallenberg: Ja, das ist eigentlich eine schwierige und ganz einfache Frage: Schwierig, weil man nicht weiß, was dann für Kompromisslösungen dabei herausgekommen wären. Einfach, insofern als wir von deutscher Seite aus dann keine Möglichkeit gehabt hätten, politisch den Gestaltungsspielraum wahrzunehmen. Das heißt, wir hätten weiter nichts machen können. Diese ESM-Strategie wäre damit gestorben, jedenfalls mit deutscher Beteiligung. Da wäre der Fall klar gewesen.



domradio.de: Viele fragen sich natürlich jetzt, was passiert denn, wenn wirklich auf diese 190 Millionen oder sogar 240 Milliarden Euro zurückgegriffen werden würde? Wie sehe es dann um Deutschland aus?

Schallenberg: Gut, im Augenblick sieht es ja so aus, dass das "gestemmt werden kann", dass es also nicht über unsere Kräfte hinausgeht, das ist Erstens zu sagen. Zweitens ist zu sagen, dass es sich im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe der Währungsunion befindet, dass wir mit anderen Staaten zusammen im Boot sind. Drittens, dass wir ein enges Spielraumgesetz haben beziehungsweise setzen werden, das gilt insbesondere für Griechenland und auch was die Auflage der Sparmaßnahmen und der Reformen angeht. Es wird jetzt alles darauf ankommen, dass diese Sparmaßnahmen und die Reformen, insbesondere eben mit Blick auf Griechenland, aber eben auch Portugal und Spanien dann als nächstes eingehalten werden. Ich persönlich bin skeptisch, dass Griechenland diese Sparmaßnahmen und Reformen in der notwendigen Zeit durchsetzen wird, da bin ich insbesondere bei Portugal, aber auch bei Spanien optimistischer, aber das ist sozusagen Zukunftsmusik von drei vier Monaten im Voraus.



Für den Augenblick gilt, dass diese Währungsunion auch eine Solidarunion ist und dass man daraus lernen muss, was in Zukunft Haftung und Kontrolle angeht. Vielleicht kann man noch ein Wort sagen, weil das in den derzeitigen Diskussionen öfters zu hören ist: Haben wir nicht eine ähnliche Situation wie die Vereinigten Staaten? Wo auch schon einmal ein Bundesstaat bankrottgeht und dann aufgefangen wird. Die haben wir insofern eben nicht, als wir keine wirksame Kontrollmöglichkeit von Brüssel haben oder Eingreifmöglichkeit. Das müsste auf Dauer gegeben sein, dann kann man auch über wirksame Solidarität nachdenken.



domradio.de: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat klargestellt: Das Gericht entscheide nicht über die Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit des Rettungspaketes: "Das ist und bleibt Aufgabe der Politik", so Voßkuhle. Hat es sich das Gericht damit nicht zu einfach gemacht?

Schallenberg: Nein, das glaube ich nicht, dass ist strikt die alte Unterscheidung zwischen quaestio iuris und quaestio facti, also die Frage des Rechtes, die formale Frage und die Frage des Inhaltes, des Sachverhaltes. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht dazu da Politik im Detail zu machen, sondern es hat den Rahmen innerhalb dessen eine solche Politik gemacht wird, zu beurteilen. Das hat es getan. Das ist nicht so einfach. Der formale Rahmen ist jetzt gegeben und die Auflagen sind da und jetzt ist der Gestaltungsspielraum der Politik gegeben, sonst hätten wir eine Vermischung unserer Gewalten und keine Gewaltenteilung mehr.





Das Interview führte Christian Schlegel (domradio.de)



Hintergrund

Deutschland darf dem dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM unter bestimmten Bedingungen beitreten. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch in Karlsruhe entschieden. Eine Ratifikation des ESM-Vertrages sei nur zulässig, wenn völkerrechtlich sichergestellt sei, dass Deutschlands Kapitalanteil am ESM tatsächlich auf 190 Milliarden Euro begrenzt sei. Diese Haftungsobergrenze dürfe ohne Zustimmung des deutschen Vertreters in den ESM-Gremien nicht erhöht werden. Zudem müsse Deutschland eine Vertragsauslegung sicherstellen, die gewährleistet, dass trotz der beruflichen Schweigepflicht aller für den ESM tätigen Personen Bundestag und Bundesrat umfassend informiert würden.



Mit dieser grundsätzlichen Billigung aus Karlsruhe könnte der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM, der ein Stammkapital von insgesamt 700 Milliarden Euro haben und damit Euro-Krisenländer stabilisieren soll, in Kraft treten. Die Bundesrepublik Deutschland müsse jedoch zum Ausdruck bringen, dass sie an den ESM-Vertrag insgesamt nicht gebunden sein wolle, falls die Vorbehalte sich als unwirksam erweisen sollten, betonte das Gericht.



Mit dieser "Maßgabe" lehnte der Zweite Senat mehrere Eilanträge gegen die am 29. Juni vom Bundestag beschlossenen Gesetze zum ESM-Vertrag ab. Auch die Eilanträge gegen die Ratifikation des Fiskalpakts, der den Euro-Staaten eine strengere Haushaltsdisziplin auferlegt, scheiterten. Bundespräsident Joachim Gauck kann nun die entsprechenden Gesetze unterschreiben, sobald Deutschland die Vorbehalte geltend gemacht hat.