Jürgen Micksch gibt Pro-Asyl-Vorsitz ab

Diplomat in Sachen Menschenrechte

Er hat mit Ingrid Bergman und Curd Jürgens vor der Kamera gestanden und 1980 den Begriff "multikulturelle Gesellschaft" geprägt. Nun wurde Jürgen Micksch als Pro-Asyl-Vorsitzender verabschiedet. Angefangen hatte seine Karriere als Kämpfer gegen Vorurteile in der christlichen Ausländerarbeit.

Autor/in:
Dieter Schneberger
 (DR)

Jürgen Micksch ist ein Diplomat in Sachen Menschenrechte. Immer freundlich und charmant im Auftreten, aber beinhart und äußerst zielgerichtet in der Sache. Seit 26 Jahren wirbelt der Gründer von Pro Asyl für die Rechte von Flüchtlingen, am Samstag hat er sein Ehrenamt an einen Jüngeren abgegeben. Seine sieben anderen Vorsitzenden-Hüte, etwa den des Interkulturellen Rats, des Abrahamischen Forums und der Interreligiösen Konferenz, behält der 71-Jährige allerdings weiter auf.



Wer könnte wohl berufener über das Thema Flucht und Vertreibung reden als Jürgen Micksch selbst. Gerade vier Jahre alt, muss er mit seinen Eltern vor der heranrückenden Roten Armee aus dem schlesischen Breslau fliehen. Die Familie schlägt sich durch nach Österreich und weiter nach Niederbayern, wo sie von den Einheimischen nicht gerade mit offenen Armen empfangen wird.



Von der schönen Scheinwelt zum Theologiestudium

Die 1950er Jahre nehmen für das "Flüchtlingskind" eine wundersame Wendung. Bei einem Vorsprechen für eine Schultheateraufführung wird der neunjährige Sohn eines Konditors unter 40 Bewerbern ausgewählt und zum Kinderstar aufgebaut. Er gibt den "Jungen" in Fritz Kortners Inszenierung von "Warten auf Godot" an den Münchener Kammerspielen" und den HJ-Führer Heini in dem Film "08/15". Er spielt mit dem "normannischen Kleiderschrank" Curd Jürgens und mit Ingrid Bergman.



Mit 19 hat Micksch die Nase voll von der Glitzerwelt, "auch weil ich die Armut vieler Schauspieler hautnah miterlebt habe". Er studiert in München, Heidelberg, Tübingen, Berlin und Erlangen Philosophie und Theologie unter anderem, "weil ich mich kritisch mit der Botschaft des Evangeliums auseinandersetzen wollte". Anschließend schlüpft er in jene Rolle, die ihm, so seine Überzeugung, am besten zu Gesicht steht: Des Kämpfers gegen Vorurteile und Stereotype, des Moderators und Mitgestalters von Integration.



Engagiert sich zunächst in der Ausländerarbeit der Kirche

Bereits 1975 ruft Micksch den "Tag des ausländischen Mitbürger" ins Leben, von 1974 bis 1984 baut er als damals jüngster Oberkirchenrat die Ausländerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland auf und formuliert 1980 die These von der Bundesrepublik als einer "multikulturellen Gesellschaft". Das trägt ihm Kritik und Häme von allen Seiten ein, nicht zuletzt aus der Kirche. Trotzdem tritt er noch zweimal in ihren Dienst: von 1984 bis 1993 als stellvertretender Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing und anschließend bis 2001 als Interkultureller Beauftragter in Hessen-Nassau.



1986 initiiert Micksch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge, Pro Asyl. "Die Stimmung gegen Flüchtlinge und Asylsuchende war Mitte der 1980er Jahre vergiftet", erinnert er sich. Mit der wachsenden Zahl der Hilfesuchenden kochte die fremdenfeindliche Stimmung immer mehr hoch und gipfelte 1992 in dem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen. Am Ende des Jahres stand die Änderung des Grundrechts auf Asyl, die mit Hilfe der SPD-Opposition möglich wurde.



Gegen gesonderte Armutsgrenzen für Asylsuchende

Seitdem kämpfte die Flüchtlingshilfeorganisation gegen die im sogenannten Asylkompromiss enthaltene Schlechterstellung Asylsuchender gegenüber inländischen Sozialhilfebeziehern, unter anderem mit der Kampagne "Menschen wie Menschen behandeln". Insofern ist es für Micksch eine besondere Genugtuung, dass das Bundesverfassungsgericht im Juli dieses Jahres das Asylbewerberleistungsgesetz als verfassungswidrig eingestuft hat.



Froh und dankbar ist Micksch über die Rückendeckung von mehr als 15.000 Fördermitgliedern, die rund eine Million Euro im Jahr für die Arbeit von Pro Asyl zur Verfügung stellen. Eine weitere Million kommt von Spendern und Sponsoren. Dadurch kann Pro Asyl vollkommen unabhängig von politischen Interessen für das Wohl der Schutzsuchenden wirken. "Das ist einzigartig in ganz Europa".



Andreas Lipsch übernimmt Vorsitz

Neuer Vorsitzender des Fördervereins Pro Asyl ist der Interkulturelle Beauftragte der Evangelischen Kirche und des Diakonischen Werks in Hessen und Nassau, Andreas Lipsch. Der 52-jährige gehöre bereits seit 2008 dem Vorstand des Fördervereins an.



Er sei bereits seit Jahren mit der Flüchtlingsthematik befasst, unter anderem als Moderator und Sprecher des Forums Abschiebebeobachtung am Flughafen Frankfurt, sagte Lipsch nach seiner Wahl dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er verstehe sich wie sein Vorgänger als Moderator und Kämpfer für die Rechte der Flüchtlinge in Deutschland und Europa und versuche, dessen erfolgreiche Arbeit weiterzuführen. Er wolle auch daran mitwirken, "die europaweit einmalige finanzielle Unabhängigkeit von Pro Asyl zu bewahren".



Lipsch studierte Philosophie und Theologie in Berlin und Marburg. 2001 wurde er zum Interkulturellen Beauftragten in Hessen-Nassau berufen. Zuvor wirkte er unter anderem acht Jahre als Gemeindepfarrer in Neu-Isenburg bei Frankfurt am Main und drei Jahre als Mitarbeiter einer Entwicklungsorganisation in Rom.