Zum Tod des Mailänder Alt-Erzbischofs Martini

Vordenker des Dialogs

Der frühere Erzbischof von Mailand, Kardinal Carlo Maria Martini, war eine der prägendsten Figuren in der italienischen Kirche. Zeitweise galt er als aussichtsreicher Kandidat für das Papstamt. Nach langer Krankheit starb er am Freitag im Alter von 85 Jahren.

Autor/in:
Johannes Schidelko
Der frühere Erzbischof von Mailand: Kardinal Carlo Maria Martini (KNA)
Der frühere Erzbischof von Mailand: Kardinal Carlo Maria Martini / ( KNA )

Eine ganze Generation lang war er eine herausragende, wenn nicht gar die führende Gestalt der italienischen Kirche. Als Erzbischof von Mailand leitete Kardinal Carlo Maria Martini 22 Jahre die größte Diözese Europas. Wie kaum ein anderer brachte der brillante und weltoffene Jesuitentheologe den Dialog zwischen Kirche und säkularer Gesellschaft voran. Über viele Jahre sah man in ihm einen möglichen, wenn auch nicht gerade aussichtsreichen Kandidaten für das Papstamt. Trotz seines Alters erhielt er beim Konklave des Jahres 2005 offenbar ein knappes Dutzend Stimmen - bevor er abwinkte und damit letztlich den Weg frei machte für Ratzinger. Am Freitag ist Martini nach langem Parkinson-Leiden in Mailand gestorben.



Schon in den 1960er Jahren machte der Theologe Martini international von sich reden. Am 15. Februar 1927 in Turin geboren, trat er mit 17 Jahren dem Jesuitenorden bei, wurde 1952 Priester und promovierte 1958 in Rom über "Das historische Problem der Auferstehung". Nach kurzer Zeit als Dozent in Norditalien ging er ans Päpstliche Bibel-Institut in Rom und erreichte dort bald den wissenschaftlichen Durchbruch. 1969 wurde er Dekan der Fakultät für Bibelwissenschaften, 1978 Rektor der renommierten Päpstlichen Universität Gregoriana. Er verfasste zahlreiche Bücher, vor allem zu biblischen Themen. Viele davon wurden Bestseller und in andere Sprachen übersetzt.



Papst Johannes Paul II. ernannte den 52-Jährigen zum Erzbischof von Mailand; 1983 erhielt er das Kardinalsbirett. Seine Stellungnahmen zu aktuellen Fragen, zu Ökumene oder zu Säkularisierung, zu Korruptionsskandalen wie zur Bedeutung der Medien machten den hochgewachsenen und stets eloquenten Kardinal zu einem kirchlichen Vordenker in Italien. Internationale Beachtung fanden seine Stellungnahmen zum Islam, in denen er als einer der ersten das Prinzip der "Wechselseitigkeit" für Christen und Muslimen forderte, das auch Rechte für Christen in muslimischen Staaten einschließen müsse.



Mitunter wurde Martini in der italienischen Presse als heimlicher Gegenpapst bezeichnet - denn nicht nur durch den brillanten Stil unterschieden sich seine Ausführungen mitunter von denen der römischen Kurie. Seine häufige Präsenz in den Medien schuf Martini unter den weniger im Rampenlicht stehenden italienischen Bischofskollegen nicht nur Freunde.



Radikale Offenheit im Gespräch mit Andersdenkenden

Als Präsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen CCEE zwischen 1986 und 1993 koordinierte Martini in den letzten Jahren des Kalten Krieges einen Teil der kirchlichen Ost-West-Kontakte. Danach wurde es um den Mailänder Oberhirten international etwas ruhiger. Gerade in der italienischen Umbruchphase jedoch, als die lange dominierende Christdemokratie in Korruptionsskandalen und Machtkämpfen auseinanderbrach und der Aufstieg Silvio Berlusconis begann, reagierte Martini weitsichtig. Anders als die Mehrheit der Bischofskonferenz um den damaligen römischen Kardinalvikar Camillo Ruini, der noch lange am Ideal einer einzigen politischen Partei für Italiens Katholiken festhielt, fand Martini, dass Katholiken in allen Parteien mitwirken sollten.



Seine radikale Offenheit im Gespräch mit Andersdenkenden führte damals zu seinem in viele Sprachen übersetzten Dialog-Buch mit dem agnostischen Star-Intellektuellen Umberto Eco. Es trug den paradoxen Titel: "Woran glaubt, wer nicht glaubt?" Das Buch erregte in Italien fast so viel Aufsehen wie acht Jahre später in Deutschland der überraschende Dialog zwischen Kardinal Joseph Ratzinger und dem Philosophen Jürgen Habermas.



Seinen Abschied aus dem bischöflichen Leitungsamt in Mailand im Jahr 2002 beging der Bibelwissenschaftler an der Spitze einer Diözesanwallfahrt ins Heilige Land. Nach einigen Jahren, in denen er überwiegend in Jerusalem lebte, kehrte er 2008 endgültig in seine norditalienische Heimat zurück. Benedikt XVI. traf Martini, den er trotz erheblicher inhaltlicher Differenzen als Mensch und Theologen respektierte und schätzte, im Vatikan zuletzt 2011, und dann noch einmal privat bei seinem Besuch in Mailand am 2. Juni dieses Jahres.