Sternsinger-Präsident Krämer zur Lage von Kindern in Kolumbien

"Kinder zum Töten erzogen"

In Kolumbien dienen derzeit mehr als 18.000 Kindersoldaten in illegalen bewaffneten Gruppen. Bei seiner ersten Reise in das südamerikanische Land besuchte der Präsident des Kindermissionswerkes "Die Sternsinger", Prälat Klaus Krämer, unter anderem ein Projekt für ehemalige Kindersoldaten.

 (DR)

KNA: Herr Prälat Krämer, was ist Ihr Eindruck vom Leid der kolumbianischen Kindersoldaten?

Krämer: Die Allgegenwart der Gewalt in diesem Land ist eine der bedrückendsten Erfahrungen meiner Reise. Besonders dramatisch ist die Situation, wenn Kinder von der Guerilla als Kindersoldaten zwangsrekrutiert werden. Viele Kinder können aus dieser gefährlichen Situation nur dadurch befreit werden, dass sie anonym an unbekannte Orte gebracht werden, wo sie ihre traumatischen Erfahrungen aufarbeiten können und eine neue Zukunftsperspektive für ihr Leben erhalten. Wir haben ein sehr beeindruckendes Projekt in Bogota besucht, das diesen Kindern ein neues Zuhause gibt und durch das sie Betreuung und Begleitung erfahren.



KNA: Warum leiden gerade Kinder so sehr unter dem bewaffneten Konflikt in Kolumbien?

Krämer: Kinder sind fast immer die Hauptleidtragenden dieser Konfliktsituationen. Viele Kinder müssen ihre Heimat verlassen. Kinder werden aus ihren Familien und ihrem sozialen Umfeld herausgerissen. Das alles ist mit traumatischen Erfahrungen verbunden. Besonders dramatisch ist es, wenn Kinder zu Zwecken der Gewalt instrumentalisiert werden, wenn sie als Kindersoldaten zwangsrekrutiert und zum Töten erzogen werden. Das ist ein unvorstellbar großes Verbrechen, weil ihnen nicht nur die Kindheit geraubt wird, sondern für die meisten damit auch alle Zukunftsperspektiven zerstört werden.



KNA: Der Tourismus in Kolumbien wächst, damit aber auch das Problem des Sextourismus.

Krämer: Gewalt und sexueller Missbrauch an Kindern stellen in Kolumbien insgesamt ein großes Problem dar. Verschärft wird dieses Problem noch an Orten, an denen sich der Tourismus stark entwickelt.

Das zeigt die Ambivalenz des Tourismus: Einerseits ist er als Wirtschaftsfaktor für die Entwicklung des Landes sehr wichtig, andererseits verursacht er viele neue Probleme. Dazu gehören zunehmender Sextourismus und Zwangsprostitution von Kindern. Wir haben verschiedene Projekte besucht, mit denen Kindern geholfen wird, die diese furchtbaren Erfahrungen gemacht haben. Die Kinder erfahren psychologische und therapeutische Hilfen. Aber sie werden dort auch sensibilisiert, um Gefahren rechtzeitig zu erkennen und sich vor ihnen zu schützen. Es wird viel getan, aber das Problem ist riesengroß.



KNA: Der Zugang zu Bildung ist gerade in ländlichen Regionen schwierig. Welche Eindrücke haben Sie gewonnen?

Krämer: In der Bildungsproblematik spiegeln sich die großen Probleme des Landes wieder. Von elf Millionen schulpflichtigen Kindern können drei Millionen keine Schule besuchen. Besonders betroffen ist der ländliche Raum. Dort haben teilweise mehr als die Hälfte der Kinder keine Chance auf eine Schulausbildung. Durch gezielte Schulprogramme gerade für den ländlichen Raum fängt die Kirche hier Manches auf, was das staatliche Schulsystem nicht leistet.



KNA: Wie stellt sich in Kolumbien die Situation von behinderten Kindern oder HIV-kranken Kindern dar? Welche Lösungsansätze gibt es?

Krämer: Kinder mit Behinderungen sind sehr oft die Allerschwächsten in einer Gesellschaft. Ich habe auf meiner Reise einige kirchliche Einrichtungen besucht, in denen Kinder mit Behinderungen fachgerecht und liebevoll begleitet werden. Besonders beeindruckt hat mich ein Programm, in dem HIV-infizierte Mütter und ihre Kinder betreut werden. Das Thema ist in der kolumbianischen Gesellschaft immer noch mit einem großen Tabu belastet. Die Betroffenen werden dadurch zusätzlich marginalisiert. Von daher ist es sehr wichtig, dass sie medizinisch und seelsorglich begleitet werden. In dem Projekt werden die häufig alleinerziehenden Mütter auch dabei unterstützt, sich eine eigene wirtschaftliche Existenz aufzubauen und damit eine neue Perspektive für das Leben ihrer Familie zu gewinnen.



KNA: Welche Eindrücke haben Sie von der aktuellen sozialen Entwicklung in Kolumbien gewonnen?

Krämer: Sie ist von extremen Gegensätzen gekennzeichnet. Zum einen gibt es einen sehr hohen Entwicklungsstand, daneben sehr oft aber auch bittere Armut. Eines der größten Hindernisse für eine Verbesserung der sozialen Situation ist das immer noch ungelöste Gewaltproblem. Es gibt eine große Anzahl von Vertriebenen, die wegen der Gewalt ihre Heimat verlassen müssen und sich an den Rändern der Städte ansiedeln. Sie leben dort nicht nur vielfach unter geradezu menschenunwürdigen Bedingungen, sondern treffen dort nicht selten auch auf ehemalige Gegner. Das birgt ein großes Gewaltpotenzial. Die Siedlungen an den Rändern der größeren Städte sind auch Orte des Drogenhandels und der Bildung krimineller Banden. Das ist dramatisch, und es gibt nur wenige Helfer, die bereit sind, in diese Orte zu gehen und die Menschen dort zu unterstützen.



KNA: Wie fällt das Fazit Ihres ersten Kolumbien-Besuches aus?

Krämer: Kolumbien ist ein wunderschönes Land, das allerdings auch große Schattenseiten hat. Ich habe hier eine lebendige und glaubwürdige Kirche vorgefunden, die an der Seite der Armen steht, die sich den großen Herausforderungen stellt, vor denen die kolumbianische Gesellschaft steht, und die dabei systematisch und geplant vorgeht.



Das Gespräch führte Tobias Käufer.