Misereor begrüßt Niebels Vorstoß zu Biosprit-Stopp

Konkurrenz zwischen Tank und Teller

Das katholische Hilfswerk Misereor unterstützt die Forderung von Entwicklungsminister Niebel, den Verkauf des Biosprits E10 zu stoppen. Weil die Getreidepreise aktuell weltweit steigen, droht eine neue Hungerkrise. Ein Preistreiber ist die Produktion von Sprit aus Weizen und Mais.

 (DR)

Misereor: US-Dürre lässt Schlimmes befürchten

Es gebe grundsätzlich eine "Nutzungskonkurrenz" zwischen Biosprit- und Nahrungsmittelproduktion, meint Misereor-Agrarexperte Benjamin Luig. Darauf mache das Hilfswerk seit Jahren aufmerksam. Niebels Vorstoß komme zur rechten Zeit, da die EU-Kommission im Herbst Rat und Parlament eine Zwischenbilanz über die Umwelt- und Sozialauswirkungen der Biosprit-Produktion in Drittstaaten vorlegen wolle, sagte Luig. Zwar stamme derzeit ein Großteil der Produktion aus EU-Ländern. Aber bis 2020 werde die Einfuhr aus anderen Staaten massiv ansteigen, um die Vorgaben aus der Richtlinie zu erneuerbaren Energien umzusetzen, erläuterte der Misereor-Experte. Bereits jetzt führe etwa der Import von Bioethanol auf Zuckerrohrbasis aus Brasilien oder Palmöl aus Indonesien zu zusätzlichen Knappheiten und Landkonflikten.



Welche unmittelbaren Auswirkungen vor diesem Hintergrund die Dürre in den USA und die erwarteten Ernteausfällen in anderen Teilen der Welt für die Nahrungsmittelversorgung in Afrika, Lateinamerika und Asien spielen, ist nach Ansicht von Luig schwer vorherzusagen. "Aber die sprunghaft angestiegenen Preise in den USA lassen Schlimmes befürchten." Das Land ist weltweit einer der größten Getreideexporteure - sowohl für die Nahrungsmittelproduktion wie auch für die Herstellung von Biokraftstoff.



Welthungerhilfe: E10-Stopp bringt kurzfristig wenig

Nach Einschätzung der Welthungerhilfe wäre ein Verkaufsstopp des Biokraftstoffs E10 zur Bekämpfung des Hungers in der Welt wäre nutzlos. Ein Verbot hätte kurzfristig keine Auswirkungen auf die Ernährungssituation in den armen Ländern, sagte Welthungerhilfe-Präsidentin Bärbel Dieckmann am Donnerstag im WDR: "Es ist eine punktuelle Maßnahme, die heute und morgen keinem Menschen hilft, weil sie nicht zu sofortigen Preissenkungen führen würde." Dieckmann fordert stattdessen eine langfristige Strategie gegen die Ernährungskrise. Dazu könne dann zwar auch der Verzicht auf Biosprit gehören. Vor allem müsse aber viel mehr in die Landwirtschaft in armen Ländern investiert werden. "Das ist vernachlässigt worden durch die Entwicklungsländer selbst, aber auch in der internationalen Entwicklungshilfe", kritisierte Dieckmann. Außerdem müsse gegen das sogenannte Landgrabbing vorgegangen werden - also den Aufkauf von fruchtbarem Land durch Großkonzerne, die dort Futtermittel, Getreide für Agrarsprit oder Nahrungsmittel für den Export anbauen.



Zur Biospritproduktion sagte Dieckmann weiter, langfristig müsse überlegt werden, ob der heutige Anteil bereits dazu beitrage, Preissteigerungen hervorzurufen, Monokulturen zu fördern und Landgrabbing zu unterstützen. Angesichts der dramatischen Ernteausfälle in den USA wäre es außerdem "möglicherweise eine vernünftige Forderung", dass dort die gesamte Ernte für die Ernährung genutzt wird. Die Beimischungsquote für Biokraftstoff betrage in den USA 40 Prozent.



Niebel für E10-Verkaufstopp in Deutschland

Niebel hatte sich dafür ausgesprochen, angesichts weltweit steigender Lebensmittelpreise den E10-Verkauf an deutschen Tankstellen zu stoppen, und von einem "Konflikt zwischen Tank und Teller" gesprochen. E10 hat einen Anteil von zehn Prozent Bioethanol und wurde 2011 in Deutschland eingeführt.



E10 ist seit dem vergangenen Jahr in Deutschland erhältlich, wird auf der Basis von Super- und Normalbenzin hergestellt und enthält eine Beimischung von 10 Prozent Biokraftstoff. Damit will Deutschland die EU-Richtlinie zu erneuerbaren Energien umgesetzt werden, die vorsieht, dass bis 2020 jeweils 10 Prozent des gesamten Kraftstoffverbrauchs im Transportsektor aus erneuerbarer Energie stammt.



Seit Juni sind die Preise für Mais, Sojabohnen und Weizen auf dem Weltmarkt um 30 bis 50 Prozent gestiegen. Die Jahrhunderthitze in den USA, Ausfälle am Schwarzen Meer und Regenmangel in Indien verdüstern die Ernteprognosen. Die Teuerung ist das erste Warnzeichen für eine neue weltweite Hungerkrise. Langfristig hält die Nahrungsmittelproduktion ohnehin mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt.



"Es ist alarmierend"

"Es ist alarmierend", sagt Mathias Mogge, Programmvorstand der Deutschen Welthungerhilfe. Er denkt an die vielen afrikanischen Länder, die Getreide importieren müssen. In Westafrika sind bis zu 18 Millionen Menschen akut von Hunger bedroht, wenn nicht schnell genug ausländische Hilfe kommt. Aber das Blatt könnte sich auch noch wenden, glaubt Mogge.



Vor vier Jahren spielten die Märkte verrückt. "Allein zwischen 2005 und 2008 haben sich die Preise von Weizen, Reis und Mais verdreifacht", betont die Sachverständigengruppe zu "Weltwirtschaft und Sozialethik" der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Fast

80 Millionen Menschen stürzten damals nach Schätzungen der UN-Ernährungsorganisation (FAO) in Hunger und Armut. Seither sanken die Preise nicht mehr auf den alten Stand, und immer wieder gibt es Preissprünge.



Die aktuellen Trends sieht der promovierte Agrarökonom Detlef Virchow an der Universität Hohenheim in Stuttgart mit Sorge: "Da kommt etwas Schlimmeres auf uns zu als 2008", sagt der Geschäftsführer des Hohenheimer Zentrums für Ernährungssicherheit ("Food Security Center"). Die Folgen für die Armen in Afrika, die fast ihr gesamtes Einkommen für Essen ausgeben müssen, wären gravierend: "Die können nicht den Gürtel enger schnallen." Sprich: Wenn sie weniger essen, hungern sie.



Paradox: Die Hälfte aller Hungernden sind Kleinbauern

Es ist paradox: Weltweit hungern nach UN-Schätzungen bereits 925 Millionen Menschen. Und etwa 50 Prozent davon sind Kleinbauern in Entwicklungsländern, die selbst Lebensmittel erzeugen. "Das macht die ganze Sache so bitter", sagt Virchow. Theoretisch könnten die Bauern vom Preisanstieg profitieren, aber die Realität ist eine andere.



Viele Bauern müssen ein Großteil ihres Getreides nach der Ernte verkaufen, wenn der Preis niedrig ist. Sie können den Mais oder die Hirse nicht lagern und brauchen Geld für den Arzt, für Kleidung, Schuhe und Schulgeld. Später im Jahr müssen sie Getreide kaufen - zu saisonal höheren Preisen. "Effektiv verlieren sie", sagt Virchow. Und dies umso mehr, je stärker die Preise klettern.



Food First Politik gefordert

Problematisch ist aber auch die Konkurrenz zwischen Tank und Teller. Durch die Produktion von Biosprit aus Mais, Raps oder Zucker rückten der Energie- und Lebensmittelmarkt zusammen. Die USA verwenden fast die Hälfte ihrer Maisernte für Bioethanol. Steigt der Erdölpreis, wächst die Nachfrage nach Sprit vom Acker. Felder werden nicht für Essen, sondern für Energie bepflanzt. "Das ist kein fairer Markt", sagt Virchow.



Der Hohenheimer Wissenschaftler plädiert für eine klare "Food First Politik", die der Ernährung Vorrang einräumt: Wenn Mais knapp sei, dürfe er eben nicht mehr zu Bioethanol verarbeitet werden. Nur Abfälle und Gülle sollten aus seiner Sicht Energie liefern.

FAO-Generaldirektor Graziano da Silva verlangte von den USA bereits, die Biosprit-Produktion auszusetzen. Und Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) forderte einen Verkaufsstopp für E-10-Superbenzin in Deutschland.



An der Preisspirale drehen auch die Spekulanten mit. Große Versicherungen, Fonds und Banken kaufen heute Papiere von Agrarterminmärkten, ihr Einfluss ist jedoch schwer zu berechnen. "Die Spekulation spielt für die Agrarpreise eine Rolle, ist aber nicht die treibende Kraft", sagt Virchow. "Sie verstärkt nur einen Trend, der ohnehin da ist."



Dass die Preise für Lebensmittel seit der Jahrtausendwende unberechenbarer und sprunghafter geworden sind, hat mehrere Gründe. "Ein wichtiger Faktor ist der wachsende Bedarf an Tierfutter", erklären die Experten der Bischofskonferenz. Weltweit wächst der Konsum an Fleisch. Zur Aufzucht von Rindern, Schweinen und Geflügel aber wird viel Soja, Getreide und Weideland gebraucht.




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