Vor 50 Jahren starb der Schriftsteller Hermann Hesse

"Im heutigen Chaos wertvoll"

Nein, ein Theologe, wie es seine Eltern geplant hatte, wollte Hermann Hesse nicht werden. Kaum ein anderer Schriftsteller hat bis heute eine solche Wirkung gerade auf junge Leser. Mit seinen Büchern "Siddharta" oder "Der Steppenwolf" ist er weltweit bekannt geworden. Der Lieblingsdichter der Blumenkinder starb vor 50. Jahren.

Autor/in:
Peter W. Kohl
 (DR)

Als Hermann Hesse am 14. November 1946 den Nobelpreis für Literatur entgegennahm, da war dies, nur ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, eine unerwartete Auszeichnung für die deutsche Literatur und einen deutschen Schriftsteller. Denn dieser repräsentierte - auch wenn er schon seit 1923 Staatsbürger der Schweiz war - das bessere Deutschland.



Eltern wollten aus ihm einen Theologen machen

Der Sproß einer Pietistenfamilie, der am 2. Juli 1877 in Calw geboren wurde, erlebte die Schulzeit an Latein- und Klosterschulen als einzige Leidenszeit. Er rebellierte gegen die Lehrer und die Eltern, die aus ihm einen Theologen machen wollten. Die traumatische Schulerfahrung spiegelte sich wider in seinen ersten Erfolgsbüchern "Peter Camenzind" (1904) und "Unterm Rad" (1906).



Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs, den er als engagierter Mitarbeiter der Kriegsgefangenenfürsorge in Bern erlebte, die psychische Erkrankung seiner ersten Frau, die Beschäftigung mit Freud und der asiatischen Geisteswelt schlug sich nieder in den Romanen "Demian" (1919) und den zwischen 1918 und 1922 entstandenen Erzählungen "Kinderseele", "Klein und Wagner", "Klingsors letzter Sommer" und "Siddharta", die er später zu einer Tetralogie unter dem Titel "Der Weg nach innen" zusammenfasste.



Selbsterkundung gipfelte in "Der Steppenwolf"

Die literarische Selbsterkundung gipfelte in dem Roman "Der Steppenwolf" (1927), seinem komplexesten Werk, das Psychogramm eines Mannes, der auf Distanz zu seiner kleinbürgerlichen Umwelt lebt, von der er sich abgestoßen und angezogen zugleich fühlt. In einem "magischen Theater" lernt er, "die verfluchte Radiomusik des Lebens" anzuhören. Eine ganz andere Stimmung entfaltet der im Mittelalter spielende Roman "Narziß und Goldmund" (1929), in dessen beiden Titelfiguren der Widerspruch von Kloster- und Wanderleben, von Askese und Erotik personifiziert ist. Die Idee des "Mitlebens in einem zeitlos Geistigen, in Ideen und Vorstellungen vieler Zeiten und Kulturen", entwickelte Hermann Hesse in der "Morgenlandfahrt" (1932), die als eine Vorstufe zum "Glasperlenspiel" (1943) zu verstehen ist.



Der umfangreiche Roman, für den Hesse den Nobelpreis erhielt, wurde gleich nach seinem Erscheinen Pflichtlektüre an deutschen Gymnasien.

Die im Jahre 2200 angesiedelte Geschichte des im utopischen Ordenstaat Kastalien lebenden Josef Knecht, der es zur höchsten Würde als Meister des Glasperlenspiels bringt, sollte - wie Hesse schrieb - "die üble Gegenwart in eine überstandene Vergangenheit" bannen, verschloss sich aber selbst zu sehr der Realität seiner Zeit, um politisch zu wirken.



In den letzten Lebensjahren schrieb Hesse vielfältige Kurzprosa und, wie schon seit Beginn seines Schaffens, Lyrik in romantischer Tradition, in der auch viel vom Zauber der Landschaft im Tessin eingefangen ist. In Montagnola, wo er seit 1919 lebte, entdeckte und pflegte er auch sein beachtliches malerisches Talent.



Seinen weltweiten Nachruhm hat Hesse nicht mehr erlebt. In der Hippie-Ära der 1960er Jahre wurde er, der doch in vieler Hinsicht im 19. Jahrhundert wurzelte, der Kultautor einer jungen Generation, die seinen Traum von einem anderen, durchgeistigten Leben weiterträumte.

Dabei kam auch Hesses westliche und östliche Einflüsse in sich aufnehmende Religiosität dem Geist der Moderne entgegen. Die Enge des pietistisch gefärbten Protestantismus seiner Kindheit überwindend fand er für sich, wie er im Essay "Mein Glaube" (1931) schreibt, in der Verbindung eines "mystischen Christentums" mit einer "indisch-asiatisch gefärbten Gläubigkeit" die ihm gemäße Religion.



Missionarischer Eifer war dem Sohn eines Missionars dabei zeitlebens fremd. Ein Jahr vor seinem Tod schrieb er an einen katholischen

Brieffreund: "Sie sollten sich nichts rauben lassen, was ihren Glauben und Halt im Leben und im Denken stärken kann. Bleiben Sie dabei! Jeder, der an einen Sinn im Leben und an die hohe Bestimmung des Menschen glaubt, ist im heutigen Chaos wertvoll, einerlei zu welcher Konfession er gehört und an welche Zeichen er glaubt."



Vor 50 Jahren starb Hermann Hesse in Montagnola, seinem langjährigen Refugium im Tessin.