Weihbischof Losinger zu den Forderungen an ein Sterbehilfegesetz

Für eine humane Gesellschaft

Die Auseinandersetzung um den Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zur Sterbehilfe geht weiter. Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger formuliert als Mitglied des Ethikrates im domradio.de-Interview die drei elementaren Forderungen der katholischen Kirche an ein neues Sterbehilfegesetz.

 (DR)

domradio.de: Der erste Teil des Gesetzentwurfs dürfte auch in Ihrem Sinne sein, also die Geschäftemacherei mit der Sterbehilfe zu verbieten?

Weihbischof Losinger: Auf jeden Fall ist kommerzielle Sterbehilfe  auch in dem Sinne, wie die katholische Kirche das immer gesehen und erklärt hat, eine nicht akzeptable Form, Menschen zu konfrontieren. Deshalb ist die Eindämmung kommerzieller Sterbehilfe, die der Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium vorsieht, auf jeden Fall in unserem Sinne.



domradio.de: Der zweite Teil des Gesetzentwurfs ist ja der eigentlich umstrittene: Dabei soll es bestimmten Personenkreisen erlaubt werden, beim Sterben nachzuhelfen. Was halten Sie davon?

Weihbischof Losinger: Das ist für mich eine äußerst problematische Situation, die ich zuhauf kritisiere. Denn zu meinen, dass engste begleitende Persönlichkeiten wie Ärzte, Pfleger oder nahestehende Verwandte dann Beihilfe zu einem Suizid leisten, ist mit dem Begriff von Zuwendung, Nähe, Hilfe und Liebe, die wir einem sterbenden Menschen zu kommen lassen wollen, vollständig unvereinbar. Deshalb ist hier einer der ganz großen Schwachpunkte dieses Entwurfes , bei dem wir unsere heftige Kritik anmelden.



domradio.de: Würden Sie einen Unterschied machen, in der Frage, ob jetzt einerseits Pfleger oder Ärzte beim Sterben nachhelfen oder andererseits Angehörige?

Weihbischof Losinger: Es geht zunächst einmal um das Prinzip, nämlich um die Frage, wie eine humane Gesellschaft  mit sterbenden Menschen umgeht. Gerade dann, wenn es sich um Menschen handelt, die in einer Phase mit Schmerzen oder Hinfälligkeit oder auch Demenz angelangt sind, kann eine Gesellschaft diese schiefe Ebene , die Selbsttötung als eine Lösung präsentiert, akzeptieren? Ich sage : Nein!



Wie wissen allesamt, dass Schmerzen oder die Angst davor, ein Pflegefall zu werden, für viele Menschen den Gedanken an Suizid nahelegen kann. Die neueste Emnid-Untersuchung  sagt, dass sogar über 40 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik einem solchen Gedanken nahestehen. Wir sagen im Gegenteil, eine Gesellschaft mit einem humanen Antlitz kann nicht den Exit als eine Lösung aus solchen Problemen fordern, sondern gerade in schmerzhaften Situationen etwas anderes. Und hier sind die modernen Formen der Palliativ- und Schmerzmedizin und etwa auch das Bereithalten eines Hospizes als eines behüteten Ortes, in dem Menschen in Frieden den letzten Abschnitt ihres Lebens erleben dürfen, die Vorschläge, die wir unterbreiten.



domradio.de: Die Politik muss sich ja bei der Fassung eines Gesetzes zur Sterbehilfe um eine möglichst praxisnahe Umsetzung kümmern. Und da gibt es ja offenbar einen Bedarf nach mehr Unterstützung. Was würden Sie denn Schwerkranken und deren Angehörigen raten, die in der Situation sind, dass sie sich überlegen, ob der Tod nicht die beste Lösung wäre?

Weihbischof Losinger: Die Moraltheologie, die christliche Ethik hat genauso wie die medizinische Ethik immer gesagt, es bestehe keine Verpflichtung zu lebensverlängernden Maßnahmen, die alles Erträgliche übersteigen. Es verbinden sich ja auch viele Ängste der Menschen damit, dass sie sehen, eine moderne Intensivmedizin ist in der Lage, menschliches Lebens beinahe über alles Überschaubare hinaus zu verlängern. Viele Menschen nennen das dann ein Leben an Schläuchen, das sie nicht ertragen wollen. Hier ist ganz klar, was die Moraltheologie immer schon sagte: Niemand muss lebensverlängernden Maßnahmen über alles Maß hinaus akzeptieren, jeder kann auch in seiner Patientenverfügung ein normales Sterben anordnen, also einen Therapieverzicht. Solches passives Sterben und Sterbenlassen ist in der Ethik niemals attackiert worden. Auch dass, was man indirekte Sterbehilfe nennt, etwa durch die Gabe von schmerzminderenden Medikamenten eine Verkürzung der Lebenszeit in Kauf zu nehmen, ist ethisch nicht attackiert.



Ich würde sagen, dass Menschen darum wissen sollen, dass die Medizin sich um den größten Angstgenerator kümmert, nämlich durch palliativmedizinische Forschung und Ausbildung der Ärzte und durch solche Medikamente den Menschen die Angst vor großen Schmerzen im Sterben zu nehmen. Dann denke ich, wäre eine großer Schritt dazu getan, dass Menschen nicht aus Angst den Suizid als Lösung sehen. Denn darüber müssen wir auch als Christen in einer humanen Gesellschaft immer wieder besorgt sein: Kein Mensch soll in unserer Gesellschaft das Gefühl haben, dass er überflüssig ist, dass er belastet und dass er deshalb nicht mehr am Leben bleiben können soll. Gerade dort, wo man es als enger Angehöriger mit Menschen in dieser Lebensphase zu tun hat, ist uns ja auch immer wieder die Redewendung geläufig: Ich will euch doch  nicht zur Last fallen. Was sich hinter dieser Redewendung verbirgt ist, dass auch in der Gesellschaft ein Druck auf einen Patienten aufgebaut werden kann, der ihm die Selbsttötung als eine Lösung für sein Problem und sein Leben erscheinen lässt.



domradio.de: Was müsste für Sie in einem Gesetz zur Sterbehilfe geregelt werden?

Weihbischof Losinger: Es müsste auf jeden Fall drei klare Verbote beinhalten: Keine kommerzielle Sterbehilfe wie die von Dignitas oder Exit, wo Gewinnerzielung als Maxime auftaucht.

Kein ärztlich assistierter Suizid. Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass Ärzte in unseren Kliniken und Krankenhäusern nicht von Helfern zu Vollstreckern werden. Hier sehe ich mich Ärztepräsiden Montgomery vollständig im gleichen Boot.

Und das Verbot jeglicher aktiver Sterbehilfe muss glasklar sein. Kein Mensch soll durch einen anderen aktiv vom Leben zum Tod gebracht werden. Und gerade an diesem Punkt ist natürlich klar, dass es hier auch Übergänge gibt, die in einer Gesellschaft immer wieder einmal im Schwange sind,. Etwa die Beihilfe zum Suizid, die ja in unserer Rechtsordnung nicht verboten ist, kann relativ nah auch an einer Form von aktiver Sterbehilfe landen, nämlich überall dort, wo es dann um Sterbehilfe geht, die von anderen Angehörigen erbeten wird.



Das Interview führte Christian Schlegel.



Hintergrund

) In der aktuellen Debatte um ein neues Sterbehilfe-Gesetz mehren sich die Rufe nach einer besseren Versorgung von Schwerstkranken und Sterbenden. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) mahnte am Wochenende in der "Passauer Neuen Presse", Hospiz- und palliativmedizinische Angebote sowie die Pflege im häuslichen Umfeld auszubauen. Ähnlich äußerte sich die Deutsche Hospiz Stiftung. Bislang fehlten vor allem Ansätze, um die Folgen des demografischen Wandels zu bewältigen, sagte der Chef der Patientenschutzorganisation, Eugen Brysch, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Es gibt kein Zukunftskonzept für eine älter werdende Gesellschaft."



Unterdessen steht der Gesetzentwurf zu einem Verbot von gewerblicher Sterbehilfe aus dem Bundesjustizministerium weiter in der Kritik. Der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) rief in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" die zuständige Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) dazu auf, die missverständlichen Passagen in ihrem Entwurf klarzustellen. "Ärzte oder Pflegepersonal dürfen sich nicht an dem Geschäft mit dem Tod beteiligen." Ähnlich äußerte sich Kauders Parteifreund, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, in der "Bild am Sonntag".



Kauder und Spahn bezogen sich auf den Passus, wonach Ärzte und Pfleger unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben sollen, wenn sie Sterbehilfe unterstützen. Voraussetzung ist, dass sie zu den Patienten eine "über das rein berufliche Verhältnis hinausgehende, länger andauernde persönliche Beziehung" gehabt haben.



Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, warf Leutheusser-Schnarrenberger in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" mangelnde Sorgfalt vor. Er zeigte sich zugleich erschrocken, "weil diese Neuerung den eigentlich guten Zweck dieses Gesetzentwurfs, nämlich gewerbliche Sterbehilfe zu verbieten, in sein Gegenteil verkehrt."



Als "halbherzig" bezeichnete der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Prälat Karl Jüsten, in der "Bild am Sonntag" den Gesetzentwurf. "Die Unterscheidung in kommerzielle und nicht kommerzielle Suizidhilfe im Gesetzesentwurf ist irreführend. Sie wird den in Deutschland existierenden Sterbehilfeorganisationen Aufwind geben und einen neuen Markt für die Dienstleistung Tod befördern."



Laut einer Umfrage des Blattes befürwortet fast jeder zweite Deutsche die gewerbsmäßige Sterbehilfe. Dieses Ergebnis zeige, so die Deutsche Hospiz Stiftung, welche Angst die Menschen vor Krankheit und Tod hätten und welche Last schon jetzt auf vielen Schwerkranken liege. Sie würden durch solche "herabwürdigende Haltungen", wie sie in der Umfrage zum Ausdruck kämen, dazu gedrängt, ihrem Leben vorzeitig ein Ende zu setzen.



ZdK-Präsident Alois Glück verwies auf die Situation in den Niederlanden, Belgien und der Schweiz. Dort gebe es einen wachsenden gesellschaftlichen Druck bis hin zur aktiven Sterbehilfe. Der Sparzwang im Gesundheitswesen verstärke diesen Trend auch in Deutschland. Der Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium sei ein Beispiel dafür, "dass die schleichende Grenzüberschreitung in eine ganz gefährliche Entwicklung mündet".



Zur Person

Im Jahr 2005 wurde Anton Losinger durch Beschluss der Bundesregierung in den Nationalen Ethikrat berufen. Nach dessen Auflösung im Februar 2008 gehört Losinger seit April 2008 dem Deutschen Ethikrat an, in den er vom Bundestagspräsidenten berufen wurde.2006 gab Anton Losinger im Nationalen Ethikrat ein Minderheitsvotum zum Thema Sterbehilfe ab. Er ist ferner Mitglied in der Kommission für soziale und gesellschaftliche Fragen der Deutschen Bischofskonferenz und der Kommission der europäischen Bischofskonferenzen.