Diskussion über "anonyme Geburten" ist neu entfacht

Ein Ringen um das Wohl von Mutter und Kind

Wie kann der Gesetzgeber schwangere Frauen in Notsituationen am besten schützen und Kindstötungen im Affekt vermeiden? Selbst in der Union herrscht darüber Uneinigkeit. Während derzeit das Bundesfamilienministerium einen neuen Gesetzentwurf erarbeitet, fordert Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja "anonyme Geburten" weiter ohne Wenn und Aber zu ermöglichen.

Autor/in:
Birgit Wilke
 (DR)

Mit seinem Appell "anonyme Geburten" weiter ohne Wenn und Aber zu ermöglichen, stellt sich Czaja gegen seine Parteikollegin, Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. Sie will, dass die Frauen in jedem Fall ihre Personaldaten - wenn auch streng vertraulich - im Krankenhaus hinterlassen und favorisiert damit die "vertrauliche Geburt". Kinder sollen dann ab dem 16. Lebensjahr ein Recht auf Einsicht haben.



Noch ist derzeit bundesweit eine "anonyme Geburt" ohne Angabe von Daten der Mutter in rund 130 Kliniken möglich. Zudem gibt es in Deutschland etwa 100 Babyklappen. Dort können Mütter ihr Neugeborenes abgeben, eine fachliche Betreuung fehlt. Beide Formen sind nur geduldet. Mit dem neuen Gesetz, das Schröder Anfang des Jahres im Kabinett vorstellen will, soll es erstmals eine rechtliche Regelung dazu geben. Seit 2001 scheiterten vier Initiativen dazu.



"Jedes einzelne Kind zählt"

Nach einer Anfang des Jahres vorgestellten Studie des Deutschen Jugendinstituts kamen von 1999 bis 2010 etwa 1.000 Kinder anonym zur Welt. Auch in Berlin hätten "einige hundert Frauen" in den vergangenen Jahren die vier Kliniken aufgesucht, in denen eine anonyme Geburt möglich ist, sagte der Berliner Gesundheitssenator der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Es werde zwar nicht gelingen, jede verzweifelte Frau zu erreichen, dennoch, so argumentiert Czaja, "jedes einzelne Kind zählt".



Trotz der wachsenden Zahl der Kritiker steht der CDU-Politiker mit seiner Haltung zur anonymen Geburt nicht allein. Auch Kirchenvertreter befürworten die Möglichkeit. So meint der katholische Augsburger Weihbischof Anton Losinger, der dem Deutschen Ethikrat angehört, für manche Frauen müsse es auch weiterhin Babyklappen geben oder die Möglichkeit, bei einer Entbindung in der Klinik dauerhaft anonym zu bleiben. Und der evangelische Berliner Bischof Markus Dröge sieht "keine Alternative" zu den Babyklappen, solange es kein flächendeckendes Hilfssystem gibt.



Die Kritiker betonen, dass das ursprüngliche Ziel von "anonymen Geburten" und Babklappen nach bisherigen Erkenntnissen nicht erreicht wurde: Die Zahl der Kindstötungen gehe - soweit nachweisbar - nicht zurück. Zugleich werde mit den Angeboten eine neue Nachfrage geschaffen. So seien etwa auch ältere oder behinderte Kinder abgeben worden. Und: Experten bemängeln, dass ein Nicht-Wissen um die Herkunft zu schweren Persönlichkeitsstörungen führen kann.



Rechtliche Grauzone

Ein Blick zurück zeigt, dass die Kritik nicht neu ist. Bereits vor rund zehn Jahren beklagten Juristen bei einer Fachtagung in Berlin die rechtliche Grauzone. So meinte etwa die Berliner Rechtsanwältin Ulrike Riedel, inzwischen auch Mitglied des Deutschen Ethikrats, dass es nicht Aufgabe eines sozialen Rechtsstaates und schon gar nicht der Kirchen sein könne, für eine Trennung von Mutter und Kind zu werben. Der Gefährdung von neugeborenen Kindern könne und müsse mit den legal vorhandenen Hilfsangeboten entgegen gewirkt werden.



Schließlich empfahl vor drei Jahren der Deutsche Ethikrat in einer Stellungnahme, die Angebote zur "anonymen Geburt" zu beenden. Allerdings war das Votum nicht einhellig. 6 der 26 Mitglieder - darunter Losinger - legten ein Sondervotum ein und plädierten für die Fortsetzung der Angebote. Das Deutsche Jugendinstitut zog in seiner Studie eine kritische Bilanz. Ein Fazit lautet ebenfalls, dass die Zielgruppe - schwangere Frauen in Ausnahmesituationen - kaum erreicht werde.



Bei vielen hat deshalb in den vergangenen Monaten ein Umdenken eingesetzt. Die Caritas begrüßt als katholischer Wohlfahrtsverband die Neuregelungen. Nach dem Willen des Familienministeriums soll das neue Gesetz noch in dieser Legislaturperiode Klarheit schaffen.