Religionsfreiheit und Schutz von Minderheiten gelten nicht mehr

Syriens Christen in Angst

Im Krieg zwischen den Regierungstruppen auf der Seite von Präsident Baschar al-Assad und den Rebellen, die die Regierung in Damaskus stürzen wollen, geraten Syriens Christen immer mehr in Bedrängnis.

Autor/in:
Agnes Tandler
 (DR)

Juni 2012: Aus den Lautsprechern der Moscheen in Kusair sind schlechte Nachrichten zu hören. "Christen sollten so schnell wie möglich die Stadt verlassen", tönt es durch die Gassen der westsyrischen Kleinstadt in der Nähe von Homs. Von den rund

40.000 Einwohnern sind rund zehn Prozent Christen. Viele von ihnen haben den Ort bereits verlassen. Sie fürchten um ihr Leben.



Kusair an der Grenze zum Libanon ist seit mehr als einem Jahr heftig umkämpft. Wo früher Menschen unterschiedlicher Religionen friedlich zusammenlebten, erschüttern nun Angst, Gewalt, Geiselnahmen und Morde die Stadt. Ein Teil der etwa zwei Millionen Christen in Syrien sieht in der Situation in Kusair eine Warnung: So könnte ihre Zukunft aussehen, wenn Assad an Macht verliert. Heftige Kämpfe in der Hauptstadt Damaskus und in Syriens größter Stadt Aleppo zeigen, wie stark der Druck der Opposition auf Assad ist.



In der vergangenen Woche war Syriens Verteidigungsminister Daud Radscha bei einem Anschlag auf den engsten Sicherheitsstab der Regierung in Damaskus ums Leben gekommen. Der 65-jährige Christ und Ex-General ist das bislang hochrangigste Opfer in dem über 16-Monate dauernden Konflikt. Manche Analysten sehen darin ein klares Indiz, dass die Tage Assads in Damaskus gezählt sind und die Rebellen bald die Macht gewinnen. Andere wiederum rechnen nicht mit einem schnellen Ende der Assad-Herrschaft.



Nähe zum Regime

Christen in Syrien standen bislang weitestgehend auf der Seite von Assad. Sie bekleideten wichtige Posten in der syrischen Regierung und der Armee. Assad, der in dem Land mit einer sunnitischen Mehrheit zu der muslimischen Splittergruppe der Alawiten gehört, hatte sich um eine säkulare Politik bemüht, und den Minderheiten Religionsfreiheit und Schutz geboten. Doch dies gilt nicht mehr - wie das Beispiel Kusair zeigt.



Dort begannen die Spannungen vor guten einem Jahr, als der Protest gegen das Regime von Assad zunehmend gewalttätig wurde.

Regierungstruppen begannen, die Häuser von Muslimen zu durchsuchen, um Oppositionelle und Aktivisten festzunehmen. Muslime beschuldigten Christen, als Informanten für Assads gefürchteten Geheimdienst zu arbeiten.



Anfang Februar nahmen schließlich Männer der Rebellentruppe "Free Syrian Army" einen christlichen Unteroffizier der syrischen Armee als Geisel. Als Reaktion entführten regierungsfreundliche Einwohner sechs Sunniten aus der Stadt und töteten einen davon. Daraufhin kidnappte ein aufgebrachter Mob 20 Christen.



"Die Gesellschaft in Syrien verliert jede Form des Zusammenhaltes", klagte der italienische Jesuiten-Pater Paolo Dall"Oglio im TV-Sender CNN. Der katholische Geistliche war im Juni nach über 30 Jahren aus Syrien ausgewiesen worden. Dall"Oglio hatte zuvor in Kusair um die Freilassung christlicher Geiseln verhandelt. Inzwischen, sagt er, habe die Mehrzahl der Christen die Stadt verlassen.



Ziel ist ein alawitische Rumpfstaat

Während die Rebellen versuchen, Alawiten und Christen aus den von ihnen eroberten Gebieten zu vertreiben, bemühe sich die Regierung in Damaskus, einen alawitischen Rumpfstaat zu schaffen. "Der Plan für eine Teilung ist da", meint Fahd, ein Exil-Syrier, der in den arabischen Emiraten lebt. Doch er hat Zweifel, wie das genau in Syrien funktionieren soll.



"Aleppo oder Damaskus, das sind Städte mit einer großen christlichen Minderheit. Die Christen in Syrien sitzen ja nicht in einer Ecke, sie sind überall", sagt er. Was passiert, wenn radikale Islamisten in Damaskus an die Macht kommen? Droht dann den Christen in Syrien ein ähnliches Schicksal wie im Irak? Während sich die Fronten im Bürgerkrieg weiter verhärten, wächst die Angst vor Verfolgung.