Spaniens Regierung spürt Gegenwind

Die Wut ist groß

Die Wut in Spanien wächst: Gegen das Spardiktat von Ministerpräsident Rajoy gehen Hunderttausende auf die Straße. Während bei Sozialausgaben gekürzt wird, verzeichnen Top-Manager Gehaltssteigerungen.

Autor/in:
Hans-Günter Kellner
 (DR)

Spaniens Regierung spürt Gegenwind: Hunderttausende haben am Donnerstagabend gegen die Sparpläne von Ministerpräsident Mariano Rajoy demonstriert. In rund 80 Städten gab es Kundgebungen. Alleine in Madrid sind Schätzungen der spanischen Tageszeitung "El País" zufolge mehr als 100.000 Menschen auf die Straße gegangen.



Die Wut ist groß. Denn das jetzt verabschiedete vierte Sparpaket der Regierung Rajoy ist das bislang umfangreichste. 65 Milliarden Euro sollen eingespart werden. Dazu ist eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von derzeit 18 auf 21 Prozent geplant. Zudem will die Regierung Beschäftigten im Öffentlichen Dienst das Weihnachtsgeld streichen und Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung oder der Pflegekasse kürzen.



Es sei schlicht kein Geld in der Staatskasse, argumentiert Finanzminister Cristobal Montoro. Ohne die Maßnahmen könne er die Gehälter der Staatsbediensteten nicht mehr zahlen. Die bisherigen Spar-Anstrengungen honorieren die Finanzmärkte indes nicht: Spanische Staatsanleihen werden weiterhin mit zu sieben Prozent verzinst.



Jahre des Booms brachte hohe Inflation

In der Nähe des Parlaments demonstrieren am Donnerstagabend unter anderem Feuerwehrleute. Sie halten Plakate mit der Aufschrift "Berufsfeuerwehr mit Burnout" in die Höhe. Das Problem sei nicht nur die geplante Streichung des Weihnachtsgeldes, sagt Juan. Er sei 2002 zur Feuerwehr gekommen, nach sechs Jahren harter Vorbereitung. Sein Lohn damals habe 1.850 Euro betragen. Heute verdiene er 200 Euro weniger, trotz der Inflation in den Jahren des Booms. "Und nun soll ich auf einen ganzen Monatslohn zusätzlich verzichten", erklärt er kopfschüttelnd. Seine Frau sei schon arbeitslos, die Pläne für ein zweites Kind hätten sie auf bessere Zeiten verschoben.



Der Tenor bei allen Kundgebungen: Die Lasten der Krise werden ungleich verteilt. Während sich Manager der im Börsenindex Ibex-35 notierten Konzerne Gehaltssteigerungen von fünf Prozent leisteten, würden die übrigen Spanier genötigt, den Gürtel enger zu schnallen, klagt eine junge Krankenschwester.



Besonders wütend sind die Demonstranten jedoch auf die Politiker. Es gebe viel zu viele von ihnen, die Verwaltung sei voller Vertrauter und Berater, die von den Regierenden per Fingerzeig ernannt würden. So etwa die Stadtteilbürgermeister in den 21 Distrikten Madrids. Ihr Jahressalär von 90.000 Euro sei völlig überzogen, kritisiert ein älterer Demonstrant. Einige der Protestierenden haben sogar eine große Guillotine aus Pappe gebastelt - für die Politiker.



Keine Alternativen zum Sparen?

Die Vertreter der Arbeitnehmer bestreiten, dass es keine Alternativen zum Sparen gibt. Gewerlschaftsfunktionärin Paloma López etwa kritisiert, dass die Regierung dem Rotstift auch alle Maßnahmen zur Wiedereingliederung der 25 Prozent Arbeitslosen im Land geopfert habe. Es gebe weder Fort- noch Umschulungen und auch keine Orientierungskurse mehr. Ihre Alternativen zum Sparen: Eine stärkere Bekämpfung der Steuerflucht, eine effektivere Besteuerung des Vermögens und eine Bankenreform. Die Kreditklemme für kleine Betriebe ist für sie eines der Hauptprobleme der spanischen Wirtschaft. Darin ist sich die Gewerkschafterin auch mit Unternehmerverbänden einig.



Die Kundgebung in Madrid wird am Ende zum Fest: Die Menschen tanzen im Schaum, mit dem die Feuerwehr einen Teil des Platzes Puerta del Sol bedeckt hat. Weit nach Mitternacht kommt es allerdings doch noch zu Zusammenstößen zwischen Polizei und einigen Demonstranten, die die Absperrungen um das spanische Parlament durchbrechen wollen. Schließlich setzt die Polizei auch Gummigeschosse ein, Müllcontainer brennen. Behördenangaben zufolge werden 26 Menschen verletzt und 15 festgenommen.