Debatte um Beschneidung hält unvermindert an

Eile mit Weile

In der Debatte über Beschneidung von Jungen mehren sich Stimmen, die vor einem "übereilten" Gesetz warnen. Religionsvertreter loben zwar die Bundestagsinitiative. Mediziner und Juristen verweisen indes auf das Kindeswohl und viele offene Fragen.

 (DR)

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hält es für schwierig, ein juristisch wasserfestes Gesetz für die Beschneidung von Jungen zu erarbeiten. Die Sache sei "komplizierter, als ein einfaches Sätzchen irgendwo einzufügen", sagte die Ministerin dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Nach der Bundestags-Entschließung, die rituelle Beschneidung jüdischer und muslimischer Jungen per Gesetz zu erlauben, warnen Mediziner, Juristen sowie Politiker von SPD, Grünen und FDP vor "Schnellschüssen". Sie fordern die Berücksichtigung des Kindeswohls.



Leutheusser-Schnarrenberger sagte, nach den jüngsten "emotionalen Debatten" sei nicht auszuschließen, dass eine gesetzliche Regelung der Beschneidung am Ende vor dem Bundesverfassungsgericht landen werde. "Da werden die Richter zu beurteilen haben, ob sie die Grundrechtsabwägung teilen, die wir vornehmen werden", so die Ministerin.



Der Bundestag hatte vergangene Woche einen Antrag von Union, FDP und SPD mit dem Ziel verabschiedet, die religiös begründete Beschneidung möglichst schnell per Gesetz zu legitimieren. Die Grünen forderten zunächst eine intensivere Debatte.



Grünen-Politiker Fritz Kuhn sprach sich für eine "klare gesetzliche Regelung" aus, die die Beschneidung von Jungen ermöglicht. Der Gesetzgeber müsse alles jedoch genau abwägen und sich Zeit nehmen, sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS). Sein Parteifreund Volker Beck sprach auf einer Tagung in Heidelberg von einer "Hoppla-Hopp-Entscheidung. Erst müsse geklärt werden, welche fachlichen und medizinischen Standards nötig sind, damit der Schmerz gelindert werden kann.



Ein Schnellschluss?

Die Kinderbeauftragte der SPD-Fraktion, Marlene Rupprecht, sagte, mehr als die Hälfte ihrer Fraktion sei der Auffassung, bei dem Bundestags-Antrag handele es sich um einen "Schnellschuss". Sie bewertete Beschneidung auch bei Jungen als "Form der Verstümmelung". Man brauche kein neues Gesetz, so Rupprecht. Die Gesetze seien eindeutig: "Das Wohl des Kindes ist vorrangig zu berücksichtigen."



Der rechtspolitische Sprecher und Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Christian Ahrendt, kritisierte die Entschließung des Bundestages ebenfalls scharf. Es sei nicht möglich, gesetzlich zu regeln, dass die körperliche Unversehrtheit eines Kindes aus religiösen Gründen verletzt werden kann, sagte Ahrendt dem "Tagesspiegel" in Berlin (Montagsausgabe): "Dieser Konflikt ist nicht regelbar." Auch er nannte die Resolution einen "unüberlegten Schnellschuss".



Jüdische und islamische Verbände begrüßten indes den Beschluss. Damit habe das Parlament "Weitsicht und Weltoffenheit gezeigt", sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek dem "Tagesspiegel" (Samstagsausgabe). Familien und Ärzte brauchten keine Angst mehr zu haben, "in die Nähe einer Straftat zu kommen".



Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, lobte die Initiative, die Beschneidung von Jungen zu legalisieren - auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung die Frage anders sehe. Demoskopie sei eine Sache, Verantwortungsbewusstsein etwas anderes, sagte Graumann dem Nachrichtenmagazin "Focus" (München). Antisemitismus sehe er nicht in der Debatte, so Graumann, aber viel Unwissenheit. Nach einer repräsentativem Emnid-Umfrage für das Magazin halten lediglich 40 Prozent der Deutschen eine gesetzliche Beschneidungs-Erlaubnis für richtig, 48 Prozent sprechen sich dagegen aus.



Namhafte Mediziner und Juristen appellierten an Regierung und Bundestag, keine vorschnellen Beschlüsse zu fassen. Das Thema sei dazu zu sensibel, heißt es in einem offenen Brief, der auf der Internetseite der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (www.faz.net) veröffentlicht wurde. Der Gesetzgeber müsse das Kindeswohl in den Mittelpunkt rücken.



In dem Schreiben ist die Rede von einer "bemerkenswerten Verleugnungshaltung und Empathieverweigerung gegenüber den kleinen Jungen, denen durch die genitale Beschneidung erhebliches Leid zugefügt wird". Den Vorwurf, "unter assoziativem Verweis auf den Holocaust - durch ein Verbot der rituellen Jungenbeschneidung würde "jüdisches Leben in Deutschland" unmöglich", wiesen die Unterzeichner zurück.

































Die Debatte über die Beschneidung von Jungen hält unvermindert an. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) fürchtet deshalb trotz der Bundestagsresolution für eine gesetzliche Zulassung, dass es schwer werden wird, ein juristisch wasserfestes Gesetz zu erarbeiten. "Die Sache ist komplizierter, als ein einfaches Sätzchen irgendwo einzufügen, wie sich das einige vorstellen", sagte die Ministerin dem "Spiegel". Sie hält es für möglich, dass eine gesetzliche Regelung am Ende vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird.



37 namhafte Mediziner und Juristen warnten in einem offenen Brief die Bundesregierung vor "vorschnellen Beschlüssen". Es herrsche "eine bemerkenswerte Verleugnungshaltung und Empathieverweigerung gegenüber den kleinen Jungen, denen durch die genitale Beschneidung erhebliches Leid zugefügt wird".



Nach einer Emnid-Umfrage für den "Focus" halten nur 40 Prozent der Deutschen eine gesetzliche Beschneidungs-Erlaubnis für richtig. 48 Prozent sprechen sich dagegen aus.



Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, sagte dem "Focus", die kontroverse Debatte über die Zulässigkeit von Beschneidungen sei nicht auf das Thema Antisemitismus zurückzuführen. Erstaunt habe ihn aber die verbreitete Unwissenheit in der Sache. Zugleich lobte Graumann die Initiative von Union, FDP und SPD, die rituelle Beschneidung auch gegen eine Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung per Gesetz zu legalisieren.



Dagegen haben Juristen, Theologen und Historiker bei einer Tagung der Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien das Kölner Urteil sowie die daraus entstandene öffentliche Debatte scharf kritisiert.

"Wir erleben derzeit eine teils antisemitisch geprägte Ausgrenzungsdebatte im Namen liberaler Werte", sagte der UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Heiner Bielefeldt.



Die mediale Auseinandersetzung richte sich auch gegen Religionen im Allgemeinen und trage "befremdlich herrische und völlig unangemessene Züge". Aus seiner Sicht versuchten derzeit einzelne Juristen, die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit "zurückzustutzen".



Der Münsteraner Jurist Bijan Fateh-Moghadam bezeichnete das Urteil des Kölner Landgerichts, das die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen als Körperverletzung wertet, als Ergebnis "verfassungsblinder und also schlechter Jurisprudenz". Es bedürfe auch keiner Festschreibung eines Sonderrechts für Angehörige religiöser Minderheiten. Vielmehr sei die Entscheidung der Eltern, für ihr Kind über eine Beschneidung zu entscheiden, schon jetzt "eindeutig" durch das geltende Sorgerecht gedeckt.



Der Leiter der Hochschule für Jüdische Studien, Johannes Heil, sagte, die aktuelle Debatte greife antijüdische Stereotypen der Geschichte auf. Bereits im Mittelalter sei die Beschneidung als grausamer jüdischer Ritus diskriminiert worden. Wenn Zeitungen aktuell Bilder von laut schreienden Kindern als Illustration der Beschneidungsdebatte nutzten, "vor allem, um die Auflage zu steigern, muss man sehr aufpassen, in welche historische Traditionslinie man sich begibt", so Heil.



Der Bundestag hatte am Donnerstag einen Entschließungsantrag mit breiter Mehrheit verabschiedet. Die Resolution fordert von der Bundesregierung, im Herbst einen Gesetzentwurf zur rechtlichen Absicherung der Beschneidung vorzulegen. Der Bundestag reagierte damit auf ein Urteil des Kölner Landgerichts vom Mai, das die religiöse Beschneidung als unzulässige Körperverletzung gewertet hatte.