Norwegen erhält religionsneutrale Beerdigungsrituale

Letztes Geleit vom Staat

Im Mai hatten sich in Norwegen die evangelisch-lutherische Kirche und der Staat nach 475 Jahren einvernehmlich getrennt. Doch wie bei anderen Scheidungen auch werden viele Folgen dieses Schritts erst im Alltag sichtbar. Das gilt unter anderem für Beerdigungen.

Autor/in:
Berthold Forssman
 (DR)

Konnten die Norweger bislang zwischen einer Bestattung nach einer religiösen oder einer humanistischen Zeremonie wählen, soll es künftig eine weitere Variante geben: eine "religionsneutrale" Feier. Wie diese aussehen soll, wird derzeit vom Kulturministerium ausgearbeitet.



"Rund zehn Prozent der norwegischen Bevölkerung gehören einer anderen Glaubensgemeinschaft als der evangelisch-lutherischen Kirche an, weitere zehn Prozent gehören zu gar keiner Glaubensgemeinschaft. Darum ist es wichtig, eine solche Wahlmöglichkeit zu schaffen", erklärte Kulturministerin Anniken Huitfeldt.



Dafür sucht der Staat Hilfe bei der Kunst. Man habe, so teilte Huitfeldt weiter mit, Schriftsteller aufgefordert, Texte einzureichen, die für solche Feiern geeignet seien. Das Ministerium richtete eine eigene Internetseite ein, auf der die Vorschläge für das letzte Geleit eingesehen werden können. Unter anderem stehen dort inzwischen Beiträge der in Norwegen preisgekrönten Lyrikerin Gro Dahle.



"Yesterday" oder "Candle in the Wind"

"Es gibt Tage, die Tage des Verlusts sind, an denen das, was wir nicht verlieren wollten, trotzdem verloren geht und verschwindet", heißt es in einem Text Dahles. In einem anderen Gedicht "Der Hund wartet" wählt sie die Perspektive des zurückgelassenen Haustiers: "Selbst wenn du nie mehr den Weg entlangkommst, selbst wenn du nie mehr zur Tür hereinkommst, trotzdem wartet der Hund und wartet, denn irgendwann bist du da, und es ist schön zu warten für einen Hund, der wartet, denn dann gibt es dich auf irgendeine Art noch immer."



Auch für die musikalische Gestaltung gibt es Anregungen - den Beatles-Klassiker "Yesterday" oder Elton Johns "Candle in the Wind", das der Künstler in einer umgeschriebenen Fassung bei der Trauerfeier für Prinzessin Diana in der Westminster Abbey vortrug. Ebenso wenig fehlt "Tears in Heaven" von Eric Clapton, geschrieben für seine verstorbene Tochter und von daher mit einschlägigem Bezug. Schließlich nennen die Vorschläge "12 Minuten für eventuelles Glockenläuten".



Gemischte Reaktionen

Um die religionsneutrale Bestattungsfeier in der Praxis zu testen, werden in den Gemeinden Lillehammer, Drammen und Lorenskog Pilotprojekte eingerichtet. Die öffentliche Verwaltung sucht dazu Personen, die die Leitung einer solchen Zeremonie übernehmen können. Für den "Humanistisch-ethischen Verband" (HEF) kommt der staatliche Vorstoß überraschend. Die Vereinigung betont die Unterschiede zwischen den Ritualentwürfen des Ministeriums und dem eigenen Angebot.



Die Reaktionen der evangelisch-lutherischen Kirche fallen gemischt aus. Während Paul Erik Wirgenes, Leiter der Abteilung für Gemeindeentwicklung, keine grundsätzlichen Einwände erhebt, erklärte Bischöfin Helga Haugland Byfuglien, die Regierung fördere eine Tendenz zur Privatisierung von Ritualen. "Meine Erwartung an die Religionspolitik der Regierung ist, dass sie die Vielfalt akzeptiert, nicht aber in eine solche Rolle schlüpft und definiert, was "religionsneutral" ist", sagte Haugland Byfuglien.



Die Debatte hat inzwischen Dänemark erreicht. Dort gibt es noch eine lutherische Staatskirche. Kirchenminister Manu Sareen kritisierte, es sei grundsätzlich nicht die Aufgabe des Staates, Rituale zu entwerfen, ob sie nun religiös oder religionsneutral seien. "Es wird keine norwegischen Zustände auf dänischen Friedhöfen geben", sagte der Minister im öffentlich-rechtlichen Hörfunk. Auch der Leiter des dänischen Atheistenverbands sagte, man benötige nicht noch mehr Zeremonien.



Unterdessen macht in Norwegen die Reform auch nicht vor der Sprache Halt: Statt des Begriffs für Friedhof - "kirkegard", wörtlich: "Kirchhof" - soll in amtlichen Äußerungen künftig nur noch von "gravplass" - Grabplatz - die Rede sein.