In Syrien gibt es kaum noch Hoffnung auf eine baldige Lösung des Konfliktes

Erneutes Massaker

Bei einem Massaker in Syrien sollen weit mehr als 200 Zivilisten getötet worden sein. Das Regime in Damaskus und die Opposition machen sich gegenseitig für das Blutvergießen verantwortlich. Der Syrer Sadiq Al-Moussllie lebt in Braunschweig und ist Mitglied im Syrischen Nationalrat, einem Zusammenschluss von Oppositionsgruppen. Im domradio.de-Interview beschreibt er die schier auswegslose Lage der Menschen in seiner Heimat.

 (DR)

domradio.de: Herr Dr. Al-Mousllie! Wieder ein Massaker - wie nehmen Sie solche Nachrichten aus der Heimat auf?--
Sadiq Al-Moussllie: Das ist in der Tat eine sehr schlimme Zeit, wir haben letzte Nacht kaum geschlafen - die Nachrichten aus dem Dorf Tremseh in der Nähe von Hamah kamen nach und nach. Man hat das Dorf tagsüber aus der Entfernung beschossen, dann hat man die Assad-Milizen hereingelassen, und die haben dann ganze Familien ausgelöscht. Es gab auch Hinrichtungen. Augenzeugen berichten von Verbrennungen von Menschen - das ist einfach grausam, was da abläuft. Bis jetzt reden wir von 220 Toten, das ist die Zahl, die Menschen in der Nähe genannt haben. Aber genaue Zahlen kennen wir noch gar nicht. Dazu kommen noch über 300 Verletzte.

domradio.de: Es gibt wieder einen Resolutionsentwurf, der wahrscheinlich wieder an Russland scheitert. Russland will weiterhin keine Sanktionen gegen Syrien. Worauf gründen Sie noch Ihre Hoffnung, was eine UN-Resolution angeht?--
Al-Moussllie: Wir wollen die Hoffnung nie aufgeben. Wir müssen aber leider feststellen, dass dieses Regime zwar verzweifelt ist, weil sie diesen Volksaufstand nicht unterdrücken und vernichten können. Aber diese Regime genießt eindeutig die Rückendeckung Russlands. Wir machen Russland hauptverantwortlich für dieses Massaker. Ich persönlich klage Russland damit an, denn ohne diese Rückendeckung würde dieses Regime nicht weiterbestehen und nicht weiter töten können. Und das passiert auch mit russischen Waffen. Russland hat seine Einstellung schon seit Monaten nicht geändert, obwohl tagtäglich Hunderte von Menschen getötet werden.

domradio.de: Was sonst kann die internationale Gemeinschaft, kann Deutschland für die Menschen in Syrien tun?--
Al-Moussllie: Zuerst einmal hätte ich von einem Land wie Russland mehr erwartet, aber leider merkt man ja auch, dass die Demokratie in Russland rückläufig ist. Wir wissen, dass das Demonstrationsrecht in Russland gestern eingeschränkt wurde. Was die internationale Gemeinschaft mehr tun könnte: Wir müssen jetzt versuchen, stärker humanitär zu helfen. Die politischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Regime müssen auf jeden Fall verstärkt werden. Aber ich muss ganz ehrlich sagen - und dafür werbe ich schon seit Monaten -: Auch die Opposition muss auf dem Boden der Tatsachen in Syrien zentralisiert und transparent  bewaffnet werden, denn wenn die internationale Gemeinschaft nicht in der Lage ist zu intervenieren, dann sollte sie den Syrern die Möglichkeit bieten, sich zu verteidigen. Nach nunmehr drei Massakern diesen Ausmaßes - das erste war in der Nähe von Homs, dann in der Nähe von Latakia, jetzt wieder in der Nähe von Hamah - weiß ich wirklich nicht, worauf wir noch warten.

domradio.de: Also mit Waffen Frieden schaffen? --
Al-Moussllie: Wir müssen nicht mit Waffen Frieden schaffen, aber ich muss den Leuten die Möglichkeit geben, sich zu schützen. Geben Sie mir eine andere Möglichkeit, wie ich jetzt die Syrer schützen kann, und ich bin sofort dabei! Wir hoffen weiterhin auf eine politische Lösung, die jetzt vielleicht noch das Ganze ändern kann. Aber ganz ehrlich: Die Hoffnung schwindet, ist fast gleich null, denn seit Monaten reden wir darüber und wir erreichen nichts.

domradio.de: Also große Verzweiflung im Syrischen Nationalrat, also der Opposition im Land?--
Al-Moussllie: Das ist leider der Fall. Wenn ich gestern die Bilder sehe und die Hilferufe der Menschen höre, die Leute weinen am Telefon - das ist einfach Verzweiflung pur, man weiß nicht mehr, wie man den Leuten helfen könnte. Wir hoffen natürlich, dass die internationale Gemeinschaft in irgendeiner Weise tätig wird. Aber zurzeit, bis jetzt, haben wir Verurteilungen und Statements bekommen, dafür sind wir zwar dankbar, aber das hilft den Syrern auf dem Boden der Tatsachen nicht. Wir brauchen humanitäre Hilfe, die vor Ort durchdringen kann, die Möglichkeit ist gegeben. Wir brauchen aber auch, dass muss man jetzt so klar sagen, eine Bewaffnung dieser Opposition. Und ich betone immer wieder: zentralisiert und transparent in Koordination mit der internationalen Gemeinschaft, damit man die Bevölkerung schützen kann.



Das Interview führte Susanne Becker-Huberti.



Hintergrund

Bei einem Massaker sind in Syrien nach Angaben von Aktivisten mehr als 200 Menschen getötet worden. Die Angaben schwanken zwischen 220 und 250 Todesopfern, unter ihnen sollen viele Frauen und Kinder sein. Opposition und Regierung machen sich gegenseitig für den Zwischenfall in einem Dorf verantwortlich. Unabhängige Informationen gibt es kaum.

Die humanitäre Lage in Syrien hat sich nach Einschätzung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in den vergangenen Wochen deutlich verschlechtert. Mittlerweile seien von den Auseinandersetzungen 1,5 Millionen Zivilisten betroffen, die dringend auf Hilfe angewiesen sind, erklärte DRK-Präsident Rudolf Seiters am Freitag in Berlin. Vielen Menschen fehle der Zugang zu Nahrungsmitteln und Wasser.



"16 Monate nach Ausbruch des Konflikts hat sich die humanitäre Lage deutlich verschlechtert", unterstrich Seiters. In vielen Regionen sei die medizinische Versorgung ein großes Problem. Zehntausende Menschen seien innerhalb des Landes auf der Flucht.



Seiters appellierte nach neuen Berichten über ein Massaker an Zivilpersonen an die Konfliktparteien, die Helfer des Syrischen Roten Halbmondes zu schützen und ihnen freien Zugang zu den Menschen in den umkämpften Gebieten zu gewähren. Erst am Dienstag war den Angaben zufolge in der Stadt Deir El Zour erneut ein freiwilliger Mitarbeiter des Syrischen Roten Halbmondes beim Einsatz mit einem Ambulanzfahrzeug getötet worden.



Das DRK arbeitet nach eigenen Angaben eng mit dem Syrischen Roten Halbmond zusammen. Der Rote Halbmond sei als einzige große Hilfsorganisation mit etwa 10.000 Helfern im gesamten Land vertreten. Das DRK unterstützt den Roten Halbmond unter anderem mit drei Lastwagen und drei Ambulanzfahrzeugen, die sich bereits in Beirut befinden und in den nächsten Tagen in Richtung Damaskus starten sollen. Mit den Fahrzeugen sollen Verwundete versorgt sowie Lebensmittel und Arzneimittel an die Bevölkerung verteilt werden.