Seit einem Jahr gibt es das Gesetz gegen Zwangsehen

Mit Paragrafen gegen das Patriarchat

Vor einem Jahr, am 1. Juli 2011, trat das Gesetz zur Bekämpfung von Zwangsehen in Kraft. Seitdem sind sie ein eigenes Delikt, stehen auf die Anbahnung bis zu fünf Jahre Haft. Vorher gab es dafür nur den Tatbestand der schweren Nötigung, der ähnlich hart bestraft wird. Die Bilanz fällt gemischt aus.

Autor/in:
Christoph Schmidt
Rund 830 Beratungsstellen gaben Auskunft über Zwangsehen in Deutschland (KNA)
Rund 830 Beratungsstellen gaben Auskunft über Zwangsehen in Deutschland / ( KNA )

Dass die Sommerferien vor der Tür stehen, merkt Monika Michell am Klingeln des Telefons. "Je näher das Schulende rückt, desto häufiger melden sich Mädchen bei uns, die in ihren Herkunftsländern zwangsverheiratet werden sollen und panisch nach einem Ausweg suchen", berichtet die Mitarbeiterin der Frauenorganisation terre des femmes. Fast 100 überwiegend muslimische Betroffene wandten sich im vergangenen Jahr an die Berliner Beratungsstelle, erzählt die 33-Jährige. Mehr als einmal organisierte sie einen Fluchtplan, um Mädchen an einem geheimen Ort unterzubringen - versteckt vor der eigenen Familie. "Zwangsheiraten bleiben ein Riesenproblem", sagt Michell.



In den federführenden Ministerien ist man überzeugt, dass das neue Gesetz eine klare Warnung für die Täter ist und die Opfer ermutigt, sich zu wehren. Die Opposition allerdings lehnte die Neuregelung ab, weil sie die Mindestbestandszeit von Ehen bis zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts von zwei auf drei Jahre verlängert hat. Strebt ein ausländischer Partner vorher die Scheidung an, droht Ausweisung. Scheinehen sollen so erschwert werden.



"Das ist zynisch", meint die Integrationsbeauftragte der SPD-Fraktion, Aydan Özoguz. "Das Gesetz soll den Opfern helfen, in Wahrheit verlängert es aber das Gefängnis Zwangsehe." Von Härtefallregelungen profitiere kaum ein Opfer, denn die Beweislast liege bei ihm. So müssten Frauen ein Jahr länger die Zähne zusammenbeißen, wenn sie nicht geschieden ausgewiesen werden und womöglich in ein traditionsbeladenes Herkunftsmilieu zurückkehren wollten.



Laut einer Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zählten Beratungsstellen 2008 mehr als 3.400 Fälle drohender oder vollzogener Zwangsverheiratungen, darunter auch von Männern. Doch vor allem Frauen sind Opfer eines Ehrbegriffs, der in seiner archaisch-sexuellen Aufladung hierzulande längst unverständlich ist.

Im Mittelpunkt steht dabei der Kult um die Jungfräulichkeit der Tochter, die um jeden Preis als "unberührte" Braut und deshalb möglichst schnell an den Ehemann gebracht werden soll, bevor das Mädchen ihrer Familie durch eigene sexuelle Erfahrungen "Schande" machen könnte. Der Studie zufolge war ein Drittel der Betroffenen unter 17 Jahre alt.



Viele Ehen in der islamischen Welt sind arrangiert

Oft sind solche Ehen schon Jahre im Voraus zwischen den Familien vereinbart. Man will wissen, worauf man sich einlässt, kennt die Vorzüge und Schwachstellen der Schwiegerfamilie. Viele Ehen in der islamischen Welt sind arrangiert, was meist von beiden Partnern akzeptiert wird. Verweigert die Frau jedoch die Heirat, wiegt der Ehrverlust für ihre Familie fast ebenso schwer wie eine verlorene Unschuld. Als einziger Ausweg gelten dann oft nur noch psychische und physische Gewalt gegen die Frau. "Wenn ein Mädchen schon zwei, drei Kandidaten der Eltern abgelehnt hat, wird der Druck irgendwann unerträglich", sagt Michell.



Ob das Gesetz mehr bringt als Symbolpolitik, ist nach einem Jahr noch nicht abzusehen. Schon jetzt ist aber klar, dass es trotz einer hohen Dunkelziffer erzwungener Ehen keine Prozesslawine geben wird. Die Praxis in den Anlaufstellen zeigt: Die Frauen suchen verzweifelt nach Beratung und Vermittlung, Klagen gegen die eigene Familie, den Bruch mit ihrer Solidargemeinschaft wollen dagegen die wenigsten. Nur 129 angezeigte Fälle zählte das Bundeskriminalamt 2011.



Islamvertreter betonen zu Recht, dass es für Zwangsehen keine religiöse Rechtfertigung gibt. Die islamischen Quellen legen Wert auf das Einverständnis auch der Frau. Ihr Schweigen zu einem Ehekandidaten gilt allerdings als Zustimmung. Das eigentliche Problem bleiben die patriarchalischen Familienverhältnisse in vielen muslimischen Milieus. "Die müssen die Migranten-Communities selbst überwinden", so Michell. Gesetze könnten da wenig ausrichten.