Ägypten nach dem Wahlsieg von Mursi

Gemischte Gefühle

Christen und liberale Muslime in Ägypten reagieren verhalten auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl. Es gebe Befürchtungen, "dass der Islamismus" nach dem Wahlsieg Mohammed Mursis Fuß fasse, sagte im domradio.de-Interview der katholische Theologe Joachim Schroedel.

 (DR)

Mit der Bekanntgabe des Wahlsieges von Mohammed Mursi "ist zunächst einmal ein größeres Blutbad vermieden worden", hatte  der Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in Kairo. Die Anhänger des von den Muslimbrüdern gestützten Kandidaten seien im Falle einer Niederlage vermutlich kaum zu bändigen gewesen, so Schroedel. Deswegen überwiege derzeit bei vielen Ägyptern ein Gefühl der Erleichterung.



Zugleich betonte der Seelsorger, der seit 17 Jahren in dem nordafrikanischen Land lebt, dass Mursis Gegenkandidat Ahmed Schafik in der am vergangenen Wochenende abgehaltenen Stichwahl mit offiziell 48,3 Prozent der abgegebenen Stimmen nur knapp gescheitert sei. Die Hoffnungen vieler liberaler Kräfte richteten sich jetzt auf den Militärrat. Entgegen anderslautender Darstellungen hielten die Armeevertreter die Rechte einer freiheitlichen Gesellschaft hoch. Die Muslimbrüder hingegen träten letzten Endes für einen islamischen Gottesstaat ein.



"Es bleibt spannend, aber hoffentlich wird es nicht blutig"

Die Wahlkommission in Ägypten hatte am Sonntagnachmittag den Sieg Mursis bekanntgegeben. Er kam demnach auf einen Stimmenanteil von 51,7 Prozent. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei 51 Prozent. Laut Medienberichten feierten auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo Zehntausende Anhänger den neuen Präsidenten.



Seine Erwartungen an die nahe Zukunft umschrieb Schroedel mit den Worten: "Es bleibt spannend, aber hoffentlich wird es nicht blutig." Im nächsten Jahr stünden erneut Parlamentswahlen an, außerdem gelte es, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Dann würden die Karten möglicherweise neu gemischt. Trotzdem lebten aktuell vor allem viele Angehörige der christlichen Minderheit der Kopten in Angst. In den vergangenen Monaten seit dem Sturz von Präsident Husni Mubarak war es immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Christen, Muslimen und Ordnungskräften gekommen.



Kopten gratulieren

Das amtierende Oberhaupt der koptischen Kirche, Bischof Pachomius, gratulierte dem designierten Staatschef Mohammed Mursi zu seinem Sieg, wie das ägyptische Staatsfernsehen am Montag berichtete.



Die Mehrheit der Christen hatte Umfragen zufolge jedoch für Mursis Gegenkandidaten gestimmt, den Luftwaffengeneral und früheren Ministerpräsidenten Ahmed Schafik. Viele begründeten dies mit der Sorge, dass unter der Präsidentschaft eines Repräsentanten der konservativ-islamischen Muslimbruderschaft die Rechte der Christen eingeschränkt und Kopten stärker diskriminiert werden könnten.



Die Kopten machen bis zu zehn Prozent der 80 Millionen Einwohner Ägyptens aus. In der Vergangenheit war es mehrfach zu gewaltsamen Konflikten zwischen Muslimen und koptischen Christen gekommen. Nach der Bekanntgabe des Wahlsiegs am Sonntag hatte Mursi in einer Fernsehansprache zur nationalen Einheit aufgerufen. Er wolle Präsident "aller Ägypter" sein, sagte er.