Erzbischof Schick sieht Europa in Verantwortung für Weltgemeinschaft

Die kranke Umwelt

Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Ressourcenknappheit, Artensterben - die Weltgemeinschaft berät beim Umweltgipfel Rio+20 über den Zustand der Umwelt. Trotz Wirtschaftskrise habe Europa die Kraft, etwas für die globale Weltgemeinschaft zu tun, urteilt Erzbischof Ludwig Schick im domradio.de-Interview. Dennoch sind seine Erwartungen an konkrete Ergebnisse sehr gering.

Gegen Waffengeschäfte: Erzbischof Ludwig Schick (KNA)
Gegen Waffengeschäfte: Erzbischof Ludwig Schick / ( KNA )

domradio.de: Europa steckt in einer schweren Krise,  warum ist es dennoch wichtig auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten an die Umwelt zu denken?

Erzbischof Schick: Europa ist ein Teil der globalen Weltgemeinschaft und wir können heute nicht mehr sagen, wir retten uns und die anderen können verloren gehen. Wir sind so miteinander verbunden, dass wir entweder alle miteinander eine gute Zukunft haben oder alle miteinander dem Untergang entgegen gehen. Wenn wir uns um die globale Weltgemeinschaft kümmern von Europa aus, tun wir für uns etwas Gutes und ich denke, dass Europa auch die Kraft hat, etwas für die globale Weltgemeinschaft zu tun und deshalb verpflichtet dazu ist.



domradio.de: In saubere Umwelt zu investieren, kostet Geld. Das könnte auf der anderen Seite bei der Armutsbekämpfung fehlen. Wie lassen sich beide Faktoren verbinden?

Erzbischof Schick: Das ist ein großes Fehlurteil, eine falsche Meinung, denn Armut und Hunger in der Welt sind zum größten Teil von der Verschlechterung der Umweltsituation bedingt. Zum Beispiel der große Hunger zurzeit in der Sahelzone in Westafrika ist eindeutig bedingt durch den Klimawandel. Andere Hungersituationen kann man genauso sehen. Wir haben heute den Weltflüchtlingstag, eine Katastrophe! Die Flüchtlinge in unserer Welt sind bedingt durch Umweltkatastrophen. Man kann das nicht voneinander trennen.



domradio.de: Bereits vor 20 Jahren gab es in Rio einen Umweltgipfel. Noch heute wird geheimnisvoll der Geist von Rio beschworen, die ungemein positive Aufbruchsstimmung, die sich während der Konferenztage ausgebreitet haben soll. Immerhin fahren heute in den Industriestaaten fast alle Autos mit Katalysatoren.  Es gibt sehr weitreichende Bemühungen um die Verringerung des CO2-Ausstoßes. Wie gut oder schlecht ist es aus Ihrer Sicht heute um den weltweiten Umweltschutz bestellt?

Erzbischof Schick: Wir nennen Rio+20, die jetzige Konferenz, eine Jubiläumskonferenz, weil sie eben 20 Jahre nach der ersten stattgefunden hat, aber zu Jubilieren gibt es nichts, denn die Umweltsituation ist bedrängend und die Erfolge sind viel zu gering. Ich will nicht kleinreden und möchte bewusst hervorheben, dass sich einiges getan hat. Wir haben in der Armutsbekämpfung doch den einen oder anderen Fortschritt gemacht. Es ist gerade in den NGOs und in den Kirchen ein großes Umweltbewusstsein entstanden in diesen 20 Jahren gerade in Kirchengemeinden und in anderen nichtstaatlichen Organisationen hat sich viel Umweltbewusstsein entwickelt und es sind auch ganz konkrete Dinge erfolgt, zum Beispiel Einsparungen von Energien, andere Ressourcen für Energiegewinnung nutzen. Also die Nachhaltigkeit ist in etlichen Bereichen schon von statten gegangen, aber was die Regierungen angeht, da lässt vieles - ja, fast alles zu wünschen übrig und es macht auch traurig, dass jetzt in Rio beim Gipfel die wichtigsten Staaten fehlen. Obama geht nicht hin, Cameron von England geht nicht hin und Angela Merkel geht auch nicht hin.



domradio.de: In Rio berät die Weltgemeinschaft über neue Ziele im Umweltschutz. Erwarten Sie denn greifbare Ergebnisse?

Erzbischof Schick: Leider Gottes nein, aber wir brauchen sie. Es wird über Green Economy geredet und das Thema des Gipfels lautet ja Armut bekämpfen, Umwelt bewahren, Wirtschaft beleben. Das ist ein ganz, ganz wichtiges Thema und wenn es da voran gehen würde, würde das für die Zukunft der Menschheit große positive Bedeutung haben. Aber wir müssen befürchten, dass nicht viel dabei herauskommt. Die Vorlage für die Erklärung, die die Regierungschefs abgeben sollen, ist ja schon fertig. Sie enthält mehr allgemeine Hinweise als konkrete Festlegungen. Das ist schade. Das ist auch zu bedauern. Das kann auch traurig machen.



Das Interview führte Tobias Fricke (domradio.de)



Erzbischof Ludwig Schick vom Erzbistum Bamberg ist in der Bischofskonferenz zuständig für die Weltkirche.





Hintergrund: Im brasilianischen Rio de Janeiro hat am Mittwoch offiziell der UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung begonnen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon betonte in seiner Eröffnungsrede: "Rio+20 ist kein Ende, es ist ein Anfang." Vertreter von rund 190 Staaten sind zu dem Treffen in Rio de Janeiro zusammengekommen. Ban mahnte mehr Anstrengungen zum Schutz der Umwelt und zur Bekämpfung der Armut an. Die Fortschritte seit dem "Erdgipfel" vor 20 Jahren in Rio de Janeiro seien zu gering.



Der Gipfel, der bis Freitag dauert, soll Weichen für ökologisches Wirtschaften und mehr soziale Gerechtigkeit stellen. Unter den Teilnehmern sind der französische Präsident François Hollande und der chinesiche Premier Wen Jiabao, EU-Kommissionspräsident Juan Manuel Barros und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Deutschland wird von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) und Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) vertreten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte ihre Teilnahme aus Termingründen abgesagt.



Die Kirchen in Deutschland fordern in einem gemeinsamen Appell zum Rio-Gipfel eine Trendwende hin zu mehr Nachhaltigkeit. Die Wirtschaftssysteme seien auf Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit auszurichten. "Der Klimawandel und das Artensterben haben sich beschleunigt, der weltweite Ausstoß von CO2 erreichte 2011 ein neues Rekordniveau", betonten der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, in einer gemeinsamen Erklärung. Die Industrienationen verbrauchten mehr Ressourcen, als ihnen gerechterweise zustünden. Umwelt-, Wirtschafts- und Entwicklungsfragen würden zu Überlebensfragen der Menschheit. "Als Kirchen rufen wir deshalb dazu auf, die uns von Gott geschenkte Erde für alle Geschöpfe zu bewahren", heißt es in der Erklärung zum "Rio+20"-Gipfel.



Auch Bischof Fürst mahnte zum Gipfel einen nachhaltigen Lebensstil an. Seine Sorge sei, dass wirtschaftliche Gewinnziele internationaler Konzerne und kurzfristige Profitinteressen von Entwicklungs- und Schwellenländern eine nachhaltige Umweltpolitik untergraben. Verbraucher in den Industrieländern könnten mit ihrem Kaufverhalten zum Schutz von Umwelt und Klima beitragen.



Die Erwartungen an den Gipfel sind allgemein gedämpft, weil die Vorverhandlungen zäh verliefen. Zuletzt hatten sich die Teilnehmerstaaten am Dienstag bereits auf eine Schlusserklärung verständigt. Die Vereinbarung wird weitgehend als enttäuschend gewertet. So werden nur allgemeine Aussagen zu Green Economy, Schutz der Ozeane und einer möglichen Aufwertung des UN-Umweltprogramms gemacht. Aktivisten kündigten Demonstrationen an. Organisationen wie Oxfam und Greenpeace sprachen von einem Scheitern.