Caritas International stellt Jahresbericht 2011 vor

Schleichende Dürrekatastrophen

Die Hungersnot in Somalia zählte zu den größten Herausforderungen im vergangenen Jahr für Caritas International. Zwölf Millionen Menschen hungerten, bis zu 100.000 Menschen starben, zudem behinderten islamistische Milizen die Hilfslieferungen. Im domradio.de-Interview spricht der Leiter von Caritas International, Oliver Müller, über den Umgang mit schleichenden Katastrophen und die Vorsorge in Dürreregionen.

 (DR)

domradio.de: Wie fällt Ihre Jahresbilanz aus und wofür haben Sie am meisten Geld ausgegeben?

Oliver Müller: Im Mittelpunkt unserer Hilfen standen viele Krisenländer in der Welt, angefangen mit den Ländern Ostafrikas, wo es letztes Jahr eine schwere Dürre gab, aber auch viele Länder, in denen sich weithin unbemerkt humanitäre Katastrophen abspielen. Ich denke da zum Beispiel an den Kongo, eines der Schwerpunktländer, aber ich denke auch an Kolumbien, wo sich nach wie vor bürgerkriegsähnliche Zustände abspielen, aber auch in Afghanistan, das mit zu den ärmsten Ländern der Welt gehört, gab es sehr viel zu tun.



domradio.de: Sie mahnen weitere Anstrengungen im Kampf gegen die Dürre an. Warum? Der Hunger in Ostafrika schien doch vor Monaten schon besiegt zu sein?

Müller: In Ostafrika hat sich die Situation auch weitgehend verbessert, dann hat sich die Problematik aber in den Westen des Kontinents, also nach Westafrika verlagert und eine Dürrekatastrophe ist eine Krise ganz eigener Art. Zumeist gibt es dort keine besonderen Bilder, die Berichterstattung ist oft eher schleppend. Das ist eine andere Art von Katastrophe wie ein Erdbeben, eine Überschwemmung, wo von heute auf morgen etwas passiert, wo es schockierende Bilder gibt. Dürren sind schleichend, aber das heißt nicht, dass sie weniger schlimm sind. Die Situation, wie sie jetzt gerade in Westafrika besteht, ist sehr besorgniserregend, zumal sie auch komplex ist. Es gibt durchaus Nahrungsmittel dort, aber sehr viele Menschen, die sie sich nicht leisten können. Da versucht jetzt auch die Hilfe anzusetzen, die Menschen in die Lage zu versetzen, damit es unter keinen Umständen eine ähnliche Katastrophe gibt, wie wir sie letztes Jahr in Ostafrika hatten, wo bis zu 100.000 Menschen vor allem in Somalia ums Leben kamen.



domradio.de: In den vergangenen Jahren wurde der Schwerpunkt auch im Wesentlichen auf die Katastrophenvorsorge gelegt, dass es erst gar nicht so weit kommt. Hat denn diese Vorsorge versagt, wenn zum Beispiel in Teilen Afrikas noch immer der Hunger so gravierend ist?

Müller: Wir haben immer mehr Projekte in der Katastrophenvorsorge, aber ich habe manchmal den Eindruck, dass es uns schwer fällt, die Erfolge dieser Vorsorge auch richtig darzustellen. Es ist schwer etwas zu sehen, was gar nicht erst passiert und es fällt auch uns schwer zu beziffern, wieviele Menschen gerettet werden konnten, weil sie nicht in Hungernot gekommen sind. Gleichwohl kann man auch am Beispiel Westafrika sehr klar sehen, wie zum Beispiel durch die Einrichtung von Wasservorratsspeichern viele Menschen sich besser davor schützen konnten. Aber die Situation ist alles in allem doch so schwierig, dass hier bedeutende weitere Anstrengungen da sind. Da erwarten wir auch nach wie vor Unterstützung durch öffentliche Stellen, um hier noch mehr in Katastrophenvorsorge investieren zu können. Ein Kind vor Hunger in einer Dürre zu bewahren durch gute Lebensmittel, kostet einen Dollar am Tag. Ein schwererkranktes Kind im Krankenhaus zu versorgen und vor dem Hungertod zu bewahren, kostet 80 Dollar. Also es ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, es ist auch sinnvoll in die Vorsorge zu investieren.



domradio.de: Warum werden gerade solche Katastrophen wie die Hungersnot in der Sahelzone so schnell vergessen?

Müller: Weil eine gewisse Müdigkeit besteht, solche Katastrophen wahrzunehmen, weil man den Eindruck hat, das kommt immer wieder vor. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass die Verhältnisse sehr komplex sind. Eine gewisse Müdigkeit besteht, was soll man in einem so schwierigen Kontext, wie dem von Somalia, noch tun. Gleichzeitig ist Afrika ein sehr agiler, ein sehr lebendiger Kontinent, wo auch sehr viele positive Entwicklungen da sind. Vielleicht ist das auch eine große Herausforderung für uns als Hilfsorganisation, auch als Caritas, die positiven Entwicklungen in dem Kontinent Afrika noch stärker herauszustellen.



domradio.de: Eine große Herausforderung für Sie, für alle Hilfswerke wahrscheinlich, ist die kurzfristige Nothilfe mit langfristiger Katastrophenvorsorge zu verzahnen. Welche Konzepte haben Sie da erarbeitet?

Müller: In der augenblicklichen Dürresituation, die wir in Westafrika haben, geben wir vielen Menschen Geld in die Hand, dafür dass sie Infrastruktur schaffen, die sie in Zukunft besser gegen die Dürre schützen. Das heißt, es werden Wasserdämme aufgebaut, es werden Wasservorratsspeicher aufgebaut, damit werden die Menschen in Zukunft besser geschützt sein. Anderseits erhalten sie gleichzeitig ein kleines bescheidenes Einkommen für diese Arbeit, die sie tun, um ihre jetzigen Bedürfnisse abdecken zu können. Das sind Maßnahmen, die kann man auch in einer Notsituation durchführen, aber noch besser ist es natürlich, wenn man sie ergreift, bevor es überhaupt dazu kommt.



Das Interview führte Monika Weiß (domradio.de)



Hintergrund:

Caritas International hat am Mittwoch seinen Jahresbericht für 2011 vorgelegt. Das katholische Hilfswerk hat nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr weltweit 52,1 Millionen Euro in Hilfsprojekten eingesetzt, rund 4,3 Millionen mehr als 2010. Die Verwaltungskosten lagen bei 4,2 Millionen Euro oder 6,8 Prozent, womit der Anteil niedriger ist als im Jahr zuvor. Die Einnahmen sanken von 86,6 auf 63 Millionen Euro.

Besonders stark, um rund 18 Millionen Euro, hat sich 2011 im Vergleich zum Vorjahr das Spendenaufkommen verringert. Der Leiter von Caritas International, Oliver Müller, sagte dazu, dies liege im Rahmen der üblichen Schwankungen.



Geprägt war das Jahr 2011 vor allem von zwei großen, sehr unterschiedlichen Katastrophen, dem Tsunami in Japan mit der Nuklearkatastrophe von Fukushima und der Hungersnot in Ostafrika. In keinem Jahr zuvor seien die Schäden durch Naturkatastrophen mit rund 287 Milliarden Euro so hoch gewesen, sagte Müller. Als Grund nannte er, dass so viele reiche Länder betroffen waren - neben Japan auch Australien, Neuseeland und die USA durch Überschwemmungen, Erdbeben und Wirbelstürme.