Caritas hält Leistungen für Asylbewerber zu niedrig

"Ein Land, ein Existenzminimum"

Die Sozialleistungen für Asylbewerber fallen nach Meinung der Caritas deutlich zu niedrig aus. Die bisherige Regelung halte Menschen in einer Armut wie sie selbst für Hartz-IV-Bezieher kaum vorstellbar ist, beschreibt Kai Diekelmann, Migrationsexperte beim Diözesan-Caritasverband. Es dürfe in Deutschland nur ein Existenzminimum geben.

 (DR)

Diekelmanns Kritik zielt auf das sogenannte Asylbewerberleistungsgesetz ab. "Das darin festgeschriebene Leistungsniveau hält die Menschen in einer Armut wie sie selbst für Hartz-IV-Bezieher kaum vorstellbar ist", sagte Diekelmann am Mittwoch im domradio.de-Interview. Seit seinem Inkrafttreten 19 Jahren habe es keine Anpassung an die gestiegenen Lebenshaltungskosten gegeben.



"Damit ist eine kindgerechte Entwicklung schlichtweg nicht zu machen"

Erwachsene Asylbewerber erhalten rund 40 Prozent weniger Geld als ein Hartz-IV-Empfänger. Während Kindern unter sieben Jahren in Hartz-IV-Familien ein monatlicher Satz von 251 Euro zustehe, müsse ein gleichaltriges Flüchtlingskind dagegen mit 132 Euro im Monat auskommen, rechnete Diekelmann vor. "Damit ist eine kindgerechte Entwicklung schlichtweg nicht zu machen." Er leitet die Abteilung Integration und Migration beim Diözesan-Caritasverband in Köln.



Gegen "Zweiklassensystem"

Das Asylbewerberleistungsgesetz habe damals abschreckend wirken sollen, meinte Diekelmann, um Asylsuchenden keinen Anreiz zu bieten, nach Deutschland zu kommen. 1993 seien die Leistungen etwa 20 Prozent unterhalb des damaligen Existenzminimums der Sozialhife angesetzt worden. Dieses "Zweiklassensystem" habe die Caritas von Anfang an abgelehnt, betonte Diekelmann. In einem Land dürfe es auch nur ein Existenzminimum geben.



"Darum ist es für uns fast ein Zeichen des Himmels, dass am Welttag des Flüchtlings das Bundesverfassungsgericht damit beginnt zu prüfen, ob das Gesetz verfassungskonform ist oder ob es gegen die Menschenwürde verstößt."



Das Bundesverfassungsgericht prüft seit Mittwoch, ob die Leistungen für Asylbewerber noch das Existenzminimum decken. Dabei prägten kritische Fragen von Richtern die mündliche Verhandlung in Karlsruhe. Auf Unverständnis mehrerer Verfassungsrichter stieß, dass die Sätze seit 1993 nicht mehr erhöht wurden, obwohl die Preise seither um etwa 30 Prozent gestiegen sind. Das Gesetz selbst sieht eine regelmäßige Überprüfung vor.



Betroffen sind von den gekürzten Leistungen nicht nur Asylbewerber, sondern auch Kriegsflüchtlinge und geduldete Ausländer. Nach Angaben des Bundesverfassungsgerichts erhalten derzeit 130.000 Menschen Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Faktisch bekommen inzwischen alle geduldeten Ausländer ohne reguläre Aufenthaltserlaubnis Asylbewerberleistungen. Die Bezugsdauer ist inzwischen auf vier Jahre verlängert worden, so dass diese Gruppe viele Jahre deutlich unter Hartz-IV-Niveau lebt.



Vizepräsident: Falsches Motto

Der Vizepräsident des Gerichts, Ferdinand Kirchhof, sagte dazu: "Das Motto, ein bisschen hungern, dann gehen die schon, das kann es ja wohl nicht sein." Die Bundesregierung verwies darauf, dass sie die Sätze zweimal anheben wollte, aber am Widerstand der Länder gescheitert sei.



Staatssekretärin Annette Niederfraneke aus dem Bundesarbeitsministerium kündigte eine grundlegende Reform der Leistungen für Asylbewerber und geduldete Ausländer an. Man orientiere sich dabei an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV. Allerdings gehe die Bundesregierung davon aus, dass es für Ausländer Spielräume gebe, da sie nur vorübergehend in Deutschland lebten. Die Staatssekretärin räumte ein, dass "noch nicht alle Probleme zufriedenstellend gelöst" seien.



Der Erste Senat will von der Bundesregierung wissen, ob sich die Sätze für geduldete Ausländer überhaupt von Leistungen für Hartz-IV-Empfänger unterscheiden dürfen. "Wir reden vom Existenzminimum", sagte Verfassungsrichter Andreas Paulus. Dazu gehöre neben Nahrung und Kleidung auch eine Mindestteilnahme am sozialen Leben. Verfassungsrichterin Susanne Baer verwies darauf, dass die Menschenwürde für alle unantastbar ist. Der Artikel eins im Grundgesetz sei kein "Deutschenrecht".



Das Urteil des Ersten Senats wird erst nach der Sommerpause erwartet. (Aktenzeichen: Bundesverfassungsgericht 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hält die Sätze für zu niedrig und die Berechnung für intransparent. Es hat deshalb das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt.