Zu viel Scharia bedroht die Demokratie

"Allah macht die Gesetze"

Die Reaktion war deutlich. Mit der Großrazzia in sieben Bundesländern und dem Verbot der Salafisten-Gruppe "Millatu Ibrahim" ("Gemeinschaft Abrahams") hat der Staat mitten ins Schwarze der Islamistenszene in Deutschland getroffen. Offenbar plant Bundesinnenminister Friedrich, deren Strukturen vollständig zu zerschlagen.

Autor/in:
Christoph Schmidt
 (DR)

Einen Vorgeschmack auf das salafistische Verständnis von politischer Auseinandersetzung gaben die gewalttätigen Proteste gegen die rechtspopulistische Gruppierung "Pro NRW" Anfang Mai, bei denen mehrere Polizisten verletzt wurden. Danach erklärten Salafisten wie der selbsternannte "Emir" und Gründer der "Millatu Ibrahim", Mohammed Mahmoud, Deutschland zum "Dschihad-Gebiet".



Die dahinter stehende Ideologie hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) noch einmal klar benannt: "Salafisten verfolgen das Ziel, den demokratischen Rechtsstaat zugunsten einer Ordnung, die nach ihren Maßstäben ,gottgewollt" ist, zu überwinden. Sie sehen in der Scharia das einzig legitime Gesetz." Womit er zwar recht hat. Doch wünschenswert wäre jetzt ein neuer Anlauf in der Debatte um das Verhältnis der grundverschiedenen islamischen Milieus zu Demokratie, Scharia und freiheitlichen Bürgerrechten. Schon deshalb, weil die aufsehenerregende Offensive gegen den hiesigen Salafismus wieder jene auf den Plan rufen wird, die à la "Pro NRW" das zu schlichte Diktum vertreten: "Islam und Rechtsstaat sind eben unvereinbar". Die also dem Anspruch der Salafisten auf den Leim gehen, die "wahren Muslime" zu sein.



Millionen Muslime haben sich friedlich ins demokratische Europa integriert

Inzwischen haben sich Millionen Muslime nicht nur friedlich ins demokratische Europa integriert, sondern schätzen auch die damit verbundenen Freiheiten. Und Zigmillionen Muslime sind im vergangenen Jahr aufgestanden, um die Kernelemente dieser Freiheit in ihren Ländern einzufordern: Rechtsstaatlichkeit, freie Wahlen, Menschenrechte. Ihre religiöse Identität sehen sie dadurch offenbar nicht gefährdet. Indes zeigt die Entwicklung, dass der Ruf nach einer islamische Legitimierung der neuen Ordnung von Tunesien bis Ägypten, demnächst vielleicht auch in Syrien, eine wesentliche Rolle spielt. Doch lassen sich moderne Demokratien mit Koran und Sunna begründen?



Das ist allein eine Frage ihrer Interpretation, die den Salafisten als Teufelswerk gilt. Tatsächlich schreiben die islamischen Quellen keine bestimmte Staatsordnung vor. Der religiöse Führerstaat, das Kalifat, kann daraus ebenso abgeleitet werden wie ein Mehrparteiensystem mit Volkssouveränität. Entscheidend ist, dass jede islamische Ordnung auf der Scharia fußen muss. Für gläubige Muslime garantiert sie als göttliches Gesetz Gerechtigkeit und gute Regierungsführung. Und bis zu einem gewissen Grad tut sie das auch.



Doch je rigider man den Corpus aus den Kompendien der islamischen Rechtsschulen auslegt, desto weniger taugt er für die Demokratie.

Vor allem mit Blick auf deren wichtigstes Gut: die bürgerlichen Freiheitsrechte, etwa von Frauen und religiösen Minderheiten. Der belgische Salafist Abu Imran drückte es offen aus: "Demokratie ist das Gegenteil von Islam. Allah sagt, was erlaubt und was verboten ist." Ein demokratischer Muslim, so Imran, sei so absurd wie anzunehmen, es gäbe christliche Juden. Der Schritt von dieser Einstellung hin zum bewaffneten Kampf gegen pluralistische Gesellschaften ist nicht groß.



Demokratiefähigkeit des Islam steht und fällt mit dem Verhältnis zur Scharia

In vielen islamischen Staaten ist ein eher strenges Scharia-Verständnis Hauptquelle der Gesetzgebung. Mit den bekannten Folgen für Bürgerrechte wie die Religionsfreiheit. Echte Demokratien gibt es in der islamischen Welt dagegen kaum. Die Demokratiefähigkeit des Islam steht und fällt aber mit dem Verhältnis zur Scharia. Ansätze, sie auf einige allgemeine Grundwerte zu reduzieren - Toleranz, soziale Gerechtigkeit, Verantwortung, Barmherzigkeit -, sind bisher Randerscheinungen im Gelehrtenestablishment. Sie wären aber nötig, um Auswüchse wie den weltweiten Salafismus zurückzudrängen. Islamkritiker wie die Publizistin Necla Kelek wünschen sich dazu auch von den deutschen Muslimen, dass sie sich stärker als "wehrhafte Demokraten" positionieren. Die Distanzierung von salafistischer Gewalt reiche nicht aus.