Überlebende berichten vom Massaker in Al-Kubair

Zerschossene Häuser, verbrannte Leichen

Was in Syrien wirklich geschieht, ist schwer zu erfahren. Angaben der Opposition oder der Regierung lassen sich praktisch nicht überprüfen. Daher gibt es oft nur die Berichte von Augenzeugen über Gräueltaten, wie zu dem Massaker in Al-Kubair vom Mittwoch.

Autor/in:
Agnes Tandler
 (DR)

Journalisten, Diplomaten und UN-Beamte werden nicht ins Land gelassen, oder wenn doch einmal, können sie sich nicht frei bewegen. Nach Berichten von Augenzeugen sind regierungsnahe Milizen und die syrische Armee für das Abschlachten von fast 100 Menschen in Al-Kubair verantwortlich. Die britische Zeitung "The Guardian" (Freitagsausgabe) zitiert einen Bewohner, der Minuten vor dem Angriff der syrischen Armee gesehen haben will, wie Schabiha-Milizen aus einem alawitischen Nachbardorf an seinem Haus vorbei in Richtung Al-Kubair gingen.



"Ich kannte einige von ihnen aus der Schule", sagte der Zeuge Abu Hisham al-Hamawi. "Ich kenne ihre Namen. Ich kenne ihre Dörfer. Ich weiß ganz genau, wer sie sind. Sie sind Schabiha, kein Zweifel. Sie kamen hier zusammen mit der Armee vorbei." Laut Al-Hamawi war das Dorf während der vergangenen 16 Monate ruhig und nicht politisch in den Aufstand gegen die syrische Regierung involviert.



In Al-Kubair leben mehrheitlich Sunniten

Auch sei Al-Kubair keine Hochburg der "Freien Syrischen Armee", die gegen die syrische Armee kämpft. Die Schabiha, regierungsnahe Milizen, sollen auch das Massaker in Hula vor zwei Wochen verübt haben, bei dem über 100 Menschen starben. Das um die 150 Einwohner zählende Dorf Al-Kubair nahe der Stadt Hama ist ländlich geprägt. Die Bewohner sind Bauern oder Hirten, mehrheitlich sunnitische Muslime.



Das Dorf liegt in der Nähe von vier Dörfern, in denen Alawiten leben, Angehörige einer schiitischen Minderheit, zu der auch Präsident Baschar al-Assad gehört. Doch die Bewohner geben an, dass es bislang nie Probleme oder Spannungen zwischen den Sunniten und den Alawiten gegeben habe. "Es ist das erst Mal, dass in unserer Gegend gekämpft wird. Es ist das erste Mal, dass die Armee uns angegriffen hat", zitierte die Zeitung den Augenzeugen.



Der arabische TV-Sender Al Dschasira zitierte einen Mann aus Al-Kubair, der fast seine gesamte Familie verloren hat. "Ich habe alle meine Familienmitglieder verloren - bis auf meinen Großvater", sagte Mohammed (20). "Ich habe ihn bewusstlos in seinem Haus gefunden. Das Haus war halb zerstört von den Einschüssen. Jemand hatte ihn mit einem schweren Objekt auf den Kopf geschlagen." Seine Mutter, sein Vater, seine zwei Schwestern und sein Bruder habe er tot auf dem Boden des Hauses gefunden, ihre Leichen verbrannt.



Auch in Hula wollten Anwohner alawitische Nachbarn ausgemacht haben

Auch in Hula, wo am 25. Mai mehr als 100 Menschen umkamen, soll sich ähnliches zugetragen haben. Zunächst wurde der Ort von Soldaten der syrischen Armee beschossen, dann drangen nach bisherigem Kenntnisstand Schabiha-Milizien in die Siedlung ein und töteten auf brutale Weise die Einwohner. Auch dort wollen Anwohner einige der Milizen als Bewohner alawitischer Nachbardörfer identifiziert haben.



Syiens Regierung weist die Vorwürfe gegen sie zurück und macht "Terroristen" für die Gräueltaten verantwortlich, die Zivilisten und Soldaten umbrächten.



Die grausame Massentötung von Sunniten könnte die Spannungen in Syrien weiter anheizen. Syrien hat seit mehr als 40 Jahren eine alawitische Regierung. Fast drei Viertel der 23 Millionen Einwohner sind jedoch Sunniten. In der Provinz Hama, wo auch Al-Kubair liegt, war es 1982 zu einem brutalen Massaker gekommen. Die Zahl der Toten wird auf 10.000 bis 30.000 geschätzt. Die alawitische Regierung unter Assads Vater, Hafis al-Assad, war gegen Syriens Muslimische Brüderschaft in Hama vorgegangen, die damals gegen Damaskus rebellierte.



Bundesregierung drängt auf Reaktion des UN-Sicherheitsrats

Die Bundesregierung verlangt nach dem neuerlichen Massaker eine entschlossene Reaktion des UN-Sicherheitsrats. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) dringe darauf, "dass sich der Sicherheitsrat endlich dazu durchringt, nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen zu ergreifen", sagte am Freitag ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin.



Westerwelle befürchte weiter ein Übergreifen des Konflikts in Syrien auf das Nachbarland Libanon. Seine Sorge habe sich vergrößert. Er unterstütze daher neue politische Initiativen unter Einbeziehung Russlands und Chinas sowie die Bildung einer Kontaktgruppe, um eine Befriedung der Lage und ein Ende der Gewalt rasch zu erreichen.



Die Bundesregierung sei "entsetzt" über die Ereignisse, bekräftigte Regierungssprecher Steffen Seibert. "Eine Führung, die solche Taten in ihrem Land zulässt, hat jegliche Legitimität verspielt." In dieser Frage komme jetzt auch Russland "eine besondere Verantwortung" zu.