Gauck wirbt für Friedensprozess im Nahen Osten

Natürlich, authentisch und sensibel

Prominente jüdische Vertreter würdigen den bisherigen Verlauf der Israel-Reise von Bundespräsident Joachim Gauck. Er sei stolz auf den Bundespräsidenten, sagt etwa der Zentralratsvorsitzende Dieter Grauman. Zum Abschluss seiner Israel-Reise ist Gauck mit der politischen Führung der Palästinenser zusammengekommen.

 (DR)

Zeichen in der Siedlungspolitik von Netanjahu gefordert

Bundespräsident Joachim Gauck hat bei seiner Nahostreise für ein Zugehen Israels auf die Palästinensern geworben. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu forderte er direkt dazu auf, in der umstrittenen Siedlungspolitik ein "Zeichen" zu setzen. Ein solcher Schritt wäre ein "Schlüssel für den Friedensprozess" im Nahen Osten, betonte Gauck nach Angaben seines Sprechers bei einem Treffen am Mittwoch in Jerusalem. "Ehrlichkeit" in der politischen Auseinandersetzung sei "Ausdruck einer stabilen Freundschaft" beider Länder. Die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten gelten als entscheidendes Hindernis einer Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern.



Gauck habe erneut deutlich gemacht, dass die Bundesrepublik fest an der Seite Israels stehe. Zwischen sich und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sehe er dabei in der Israel-Politik keinerlei Differenzen. "Wenn jemand gemeint hat, eine Distanz zwischen der Bundeskanzlerin und mir bei einer Wortwahl herauszulesen, dann wäre das ein Irrtum", sagte Gauck am Mittwochabend in Jerusalem. Der Bundespräsident betonte: "In der Sache bin ich ganz bei Angela Merkel." Es bestehe lediglich die Aufgabe, "die tiefere Bedeutung der Aussage klar zu machen". Gauck sagte weiter: "Hier ist etwas zu tun" und nicht etwa im Kurs der Kanzlerin.



Gauck hatte bei einem Treffen mit seinem Amtskollegen Schimon Peres am Dienstag in Jerusalem gesagt: "Das Eintreten für die Sicherheit und das Existenzrechts Israels ist für die deutsche Politik bestimmend." Damit hatte der Bundespräsident die Formulierung Merkels, das Existenzrecht Israels sei Teil der deutschen Staatsräson vermieden. Daran hatte sich in Deutschland Kritik entzündet.



Nach Angaben des Gauck-Sprechers dauerte die Unterredung mit Netanjahu eine Stunde länger als ursprünglich geplant. Ein Hauptthema war das gemeinsame Wertefundament beider Länder. Außerdem seien der wissenschaftliche und wirtschaftliche Austausch erörtert worden.



Gauck vertrete Deutschland glänzend, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, der Tageszeitung "Die Welt" (Donnerstag). Graumann verteidigte Gauck, der sich von einem Wort von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) abgegrenzt hatte, wonach Israels Sicherheit Teil der deutschen "Staatsraison" ist. Er sehe keinen Unterschied zwischen der Bundeskanzlerin und dem Bundespräsidenten. "Wir sollten hier keine Unterschiede konstruieren", so Graumann. Gauck habe klar gemacht, dass von allen Ländern Deutschland als letztes Israel seine Freundschaft aufkündigen dürfe.



Lob für seine Worte in Israel bekam Gauck auch vom ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland, Avi Primor. "Der Ton und die Freundschaft sind sehr, sehr gut angekommen", sagte Primor dem Bayerischen Rundfunk. Der Bundespräsident habe Kritik an Israel offen angesprochen. Eine Freundschaft müsse auf Offenheit und Ehrlichkeit beruhen. Gauck habe den richtigen Ton gefunden.



Holocaustüberlebende: Das Wort "offiziell" habe ich ganz vergessen

Am frühen Abend sprach der Bundespräsident in Jerusalem mit Überlebenden des Holocaust. "Das Zusammentreffen war ein richtiger Dialog, ein ausgeprägt menschlicher Kontakt, sehr eindrucksvoll!" urteilt Reuven Merhav. Der Staatssekretär a.D. ist einer von sechs Holocaustüberlebenden, für die sich Joachim Gauck hinter verschlossenen Türen eine gute Stunde Zeit nahm.



"Jeder von uns hat von seinem Leben erzählt. Dabei hat der Bundespräsident eine sehr entspannte Atmosphäre geschaffen, in der man auch über Dinge spricht, über die es sonst schwer fällt zu reden", sagt Miriam Gillis-Carlebach. "Das Wort "offiziell" habe ich ganz vergessen, während ich hier saß."



Natürlich, authentisch und sensibel sei Joachim Gauck, sind sich seine Gesprächspartner einig. Sie fühlen sich wahrgenommen und verstanden vom deutschen Bundespräsidenten, der nicht aufhört, seine emotionale Beziehung zur deutsch-israelischen Geschichte und den deutschen Gräueltaten am Volk Israel zu betonen. Joachim Gauck ist ein Mann, "der die selben Werte teilt".



Wer dem Bundespräsidenten anlässlich seines Israelbesuchs zuhört, ist nicht verwundert, dass ein Treffen mit Holocaust-Überlebenden für ihn zum Pflichtprogramm gehört. "Vergiß nicht! Niemals. Und steh zu dem Land, das hier derer gedenkt, die nicht leben durften", schrieb Gauck am Dienstag in das Gästebuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, die an das Schicksal der sechs Millionen von den Nationalsozialisten ermordeten Juden erinnert.



"Wir werden nicht vergessen, niemals", wiederholte er bei einer ersten Zwischenbilanz im Jerusalemer St. Charles-Hospiz am Mittwochabend.



Das private Familienschicksal seines israelischen Amtskollegen Schimon Peres machte Gauck zum Thema seiner Tischrede beim Staatsbankett. Peres Großvater, Lehrer und Mentor, Rabbi Zwi Meltzer, zog auf Befehl der Nazis mit seiner Gemeinde in die Synagoge seiner Geburtsstadt Wiszniewo, wo alle Versammelten von den Deutschen verbrannt wurden.



Dank für die zur Versöhnung gereichte Hand und das Vertrauen, das Israel Deutschland entgegenbringt: Die Auseinandersetzung mit der schmerzhaften deutsch-jüdischen Geschichte hat Gaucks eigenes Verhältnis zu Israel geprägt. Nicht zuletzt, wie er erklärt, weil er als junger Mann in einer DDR gelebt habe, die Israel nicht anerkannt und die Verantwortung für die Schoah nicht übernommen habe.



Der biographische Zugang Gaucks zum Thema Schoah kommt an bei den Betroffenen. "Es ist bemerkenswert, dass beide, Angela Merkel und Joachim Gauck, im Osten aufgewachsen sind, und beide, obwohl nie vom Holocaust gesprochen wurde, so sensibel für das Thema sind", urteilt Pesach Anderman. Für den 1947 illegal in das britische Mandatsgebiet Palästina eingewanderten Juden erfüllt sich mit dem Zusammentreffen ein langgehegter Wunsch: "Für mich geht ein Traum in Erfüllung, dass ich den höchsten Vertreter des neuen Deutschlands treffen durfte."



Die dritte Generation nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs, so Anderman, weiß nicht genug über die Geschichte. Mit einem Buch über seine bewegte Lebensgeschichte hat der 1929 Geborene ein Bildungsprojekt an deutschen Schulen und Hochschulen lanciert."Geschichtsbücher", so sei das Feedback der Teilnehmenden, "können keinen Zeitzeugen ersetzen!" Sein Projekt, fügt er hinzu, ist "kostengünstig und sehr effektiv."



"Wenn du hier gewesen bist, sollst du wiederkommen. Zuerst nur: die Flut der Gefühle, erschrecken vor dem Ausmaß des Bösen, mitleiden, mitfühlen, trauern", hat Joachim Gauck in das Gästebuch von Yad Vashem geschrieben. In seinem Dialog mit den Zeitzeugen der schmerzhaften deutsch-jüdischen Geschichte macht er selbst den Anfang.