Vatikan rechnet mit langen Ermittlungen zu "Vatileaks"

Eine Enthüllung und viele Rätsel

Der schlimmste Fall scheint sich zu bewahrheiten. Die undichte Stelle im Vatikan befand sich offenbar in der unmittelbaren Umgebung des Papstes, in dessen Appartement. Der Päpstliche Kammerdiener Paolo Gabriele wurde verhaftet. In seiner Wohnung befanden sich unerlaubterweise päpstliche Dokumente.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Schon seit einiger Zeit verdichteten sich Gerüchte, der "Maulwurf", der immer wieder vertrauliche Papiere des Papstes an die Öffentlichkeit lancierte, müsse ganz oben im Vatikan sitzen. Es müsse eine Person mit Zugang zum Archiv des Staatssekretariats sein, vermutete man - was den möglichen Kreis auf einige hundert Personen eingrenzte.



Kammerdiener war Teil der "päpstlichen Familie"

Dass der Täter dann aber nicht in der zweiten Etage, der des Staatssekretariats, sondern in der Terza Loggia saß, im Papst-Appartement, schlug in Rom ein wie eine Bombe. Der Maggiordomo, der in einer Person Butler, Hausmeister und Kellner des Papstes ist, genoss höchstes Vertrauen. Er gehörte zur "päpstlichen Familie": zusammen mit den beiden Privatsekretären - Georg Gänswein und Alfred Xuereb - und den vier Hausdamen von der Gemeinschaft der "Memores Domini".



Auch seit der Name bestätigt ist, können viele im Vatikan sich keinen rechten Reim auf die Enthüllung machen. Wie könnte der allseits beliebte diskrete Paoletto, ein ehrbarer Familienvater mit drei Kindern in geregelten Verhältnissen, zu einem solchen Verrat fähig sein? Die These des Enthüllungs-Journalisten Gianluigi Nuzzi will nicht so recht überzeugen, seine Quelle sei ein Gesinnungstäter, der sich über die Diskrepanz von vatikanischen Fakten und der Darstellung in den Medien geärgert habe. War da doch Geld im Spiel oder war der 46-Jährige, der bald nach der Wahl von Benedikt XVI. die Nachfolge des legendären Angelo Gugel antrat, doch irgendwie erpressbar?



Gelegenheit zum unerlaubten Aktenzugriff hatte der Kammerdiener ohne weiteres. Er ging im "Appartamento" ein und aus, hatte Zutritt, auch wenn der Papst und die Sekretäre eine Etage tiefer zu Audienzen in der Privatbibliothek oder zum Rosenkranzgebet in den Vatikanischen Gärten waren.



Jetzt stehen Zeugenbefragungen an

Bislang ist dies alles jedoch nur ein Verdacht. Immerhin hat der Vatikan, der noch am Freitag keine näheren Angaben machen wollte, inzwischen den Namen bekannt gegeben und bestätigt, dass Gabriele sich weiterhin in Haft befindet. Die staatsanwaltlichen Vorermittlungen sind abgeschlossen, hieß es am Samstag. Jetzt prüft der Untersuchungsrichter die Fakten, geht Spuren nach, befragt Zeugen, leitet weitere Ermittlungen ein. Das könne sich hinziehen, deutete Vatikansprecher Federico Lombardi an. Denn es könnten neue Fragen und Probleme auftreten, die ebenfalls behandelt werden müssten.



Ob er damit auf eine Einbindung der italienischen Justiz anspielt, ließ Lombardi offen. Der Vatikan ermittelt wegen einer auf seinem Staatsgebiet erfolgten möglichen Straftat; er folgt damit ganz seiner eigenen Gerichtsbarkeit und seinen Gesetzen. Allerdings könnte, je nach Fortgang der Ermittlungen, italienische Amtshilfe zweckmäßig sein. Nicht nur mit Blick auf mehr Transparenz des Verfahrens, sondern auch auf mögliche diplomatische Verwicklungen:



Weil die Straftat innerhalb des Vatikan auch Italien und italienische Staatsbürger betrifft, weil die Geheimdokumente eines ausländischen Staatsoberhaupts weitergegeben und veröffentlicht wurden.



Die vatikanische Justiz wird versuchen, Licht in den Dokumentendiebstahl zu bringen, in die Wege, Umstände und Motive des Geheimnisverrats, in die Rolle Gabrieles. Sie wird prüfen, ob es Komplizen gab, Auftraggeber und Mittelsmänner. Bislang hat der Beschuldigte dem Vernehmen nach noch nichts zugegeben.



Besonders schmerzlich ist der Umstand zweifellos für den Papst, wenn er von einem Menschen, dem er vertraute, hinter"s Licht geführt wurde. Am Samstag, während das Presseamt den Namen Gabrieles bestätigte, fuhr Benedikt XVI. im Papamobil zur Audienz auf dem Petersplatz - auf dem Beifahrersitz des Maggiordomo saß diesmal ein anderer Mitarbeiter. Der Papst sprach dann vom Gottvertrauen in einer schwierigen Welt. Das Leben des Gläubigen müsse auf einen festen Grund gebaut sein, auf Gott. Dann halte es Wolkenbrüchen und Wassermassen stand - und den schlimmsten Stürmen, sagte er.