Caritaspräsident Neher gegen Praxisgebühr

Auf arm folgt krank

Armut darf nach den Worten des Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, nicht den Zugang zu Gesundheitsleistungen verbauen. Die Praxisgebühr und Zuzahlungen beeinträchtigten diesen Zugang aber. "Wir können nicht akzeptieren, dass Heilungschancen von der Einkommenssituation abhängen."

 (DR)

Zwar habe Deutschland ein gutes Gesundheitswesen, doch gelte dies nicht für alle Gruppen gleichermaßen.  Erwachsene, die in materieller Armut leben, litten vermehrt an Krankheiten. Depressionen seien bei Langzeitarbeitslosen dreimal so häufig wie bei Erwerbstätigen. Die Lebenserwartung unterscheide sich zwischen den unteren und den oberen Einkommen bei Männern um elf und bei Frauen um acht Jahre, sagte Neher. Die Ungleichheit sei eine Herausforderung für die Sozialpolitik und erfordere Gegenmaßnahmen auch in anderen Bereichen wie der Stadtentwicklungs-, Verkehrs- und Umweltpolitik.



Der Deutsche Caritasverband fordert daher eine bessere medizinische Versorgung armer Menschen. Praxisgebühr, Zuzahlungen und selbst zu finanzierende Medikamente beeinträchtigten den Zugang zu Gesundheitsleistungen "erheblich", kritisierte Peter Neher am Mittwochabend beim Jahresempfang des Verbands in Berlin. Der Empfang fand im katholischen Sankt-Hedwigs-Krankenhaus statt.



Die Caritas macht in diesem Jahr mit ihrer Kampagne "Armut macht krank. Jeder verdient Gesundheit" auf die besonderen gesundheitlichen Probleme ausgegrenzter und sozial schwacher Gruppen aufmerksam. Beim Jahresempfang für Vertreter aus Politik und Gesellschaft sprachen auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) und der Berliner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki Grußworte.



Woelki: Katholische Krankenhäuser sind Teil des missionarischen Zeugnisses

Kardinal Woelki betonte die Bedeutung kirchlicher Krankenhäuser. Katholische Krankenhäuser seien Teil des missionarischen Zeugnisses der katholischen Kirche und der Nächstenliebe, die sich in der Sorge um Kranke und Arme ausdrücke. Sie müssten ein "unverwechselbares Profil" in das Gesundheitssystem einbringen. So seien sie verpflichtet, "dort die Stimme zu erheben, wo grundsätzlich die Begrenztheit menschlichen Lebens nicht mehr akzeptiert wird, wo die berechtigte Sorge um Gesundheit das Maß verliert und sich in einem medizinisch-biotechnischen Machbarkeitswahn steigert". Woelki leitet auch die Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz.



Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) lobte in seinem Grußwort, die Caritas gebe "vielen eine Stimme, die sonst wohl keiner hören würde". Mit ihrer laufenden Jahreskampagne "Armut macht krank. Jeder verdient Gesundheit" greife sie ein wichtiges Thema auf.



Gesundheitsminister: Zuzahlungen sind unverzichtbar

Zugleich wandte sich der Minister gegen einen "generellen Verzicht" auf Zuzahlungen bei medizinischen Leistungen. Sie seien als Steuerungselement unverzichtbar. Auch für Bezieher von Transferleistungen wie Hartz IV gebe es in Deutschland im internationalen Vergleich ein sehr hohes Niveau an medizinischer Versorgung. Bahr räumte Fälle ein, um die sich die Politik "intensiver kümmern" müsse. So gebe es Defizite bei Menschen mit niedrigem Arbeitseinkommen, die sich aus Kostengründen nicht versicherten.



Die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Renate Künast, bezeichnete die ungleiche Gesundheitsversorgung als "eine der größten sozialen Ungerechtigkeiten in Deutschland". Sie bekräftigte die Forderung der Grünen, die Praxisgebühr abzuschaffen und eine allgemeine Bürgerversicherung einzuführen. Notwendig seien zudem eine bessere Versorgung armer Patienten mit chronischen Erkrankungen und ein Präventionsgesetz.



Auch Neher sprach sich für neue Präventionsformen aus. Die zumeist "mittelschichtsorientierten Aufklärungskampagnen" erreichten arme Menschen "kaum oder gar nicht". Weiter betonte er, die "irritierende gesundheitliche Ungleichheit" fordere die Sozialpolitik auch auf vielen anderen Feldern heraus. So schaffe eine aktive Beschäftigungspolitik Perspektiven für langzeitarbeitslose Menschen mit positiven Folgen für deren Gesundheit. Auch die Stadt-, Umwelt- und Verkehrspolitik müssten auf "Gesundheitsgerechtigkeit" ausgerichtet werden. Verkehrslärm schädige vor allem arme Menschen, weil sie sich die Mieten in ruhigen Wohngegenden nicht leisten könnten, erklärte Neher.