Scharfe Kritik an Thilo Sarrazins Euro-Thesen

"Schwachsinn, Geschwätz, Ärgernis!"

Nun rollt die Empörungswelle über Thilo Sarrazins Euro-Thesen: Die gezielten Provokationen des früheren Bundesbankvorstands in seinem neuen Buch kritisiert auch Günther B. Ginzel. Den Publizist stört vor allem der Holocaust-Vergleich - und holt im domradio.de-Interview auch noch gegen die Debatten-Kultur der TV-Talkshows aus.

 (DR)

domradio.de: Ein Satz hat schon vorab für Aufregung gesorgt: Befürworter der so genannten Euro-Bonds seien "getrieben sind von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben." Ihr Urteil?

Ginzel: Schwachsinn, es ist einfach dummes Geschwätz! Geschwätz, das die Ressentiments einer Generation wecken soll, die im Grunde genommen nicht genau weiß, was während der Nazi-Zeit und dnach passiert ist. Es ist ein solcher Unsinn, und es ist eine solche Verkehrung dessen, was tatsächlich historisch passiert ist: Die Europa-Sehnsucht etwa meiner Generation mündete doch darin, dass wir begeistert waren, dass dieses Ausland, das ja noch vor Kurzem von den Vätern und Großvätern erobert worden ist, bereit war, die Deutschen als gleichberechtigte Partner wieder aufzunehmen. Das war doch keine Frage der Buße! Buße ist etwas anderes. Buße, das sind die weit über 130 Milliarden, die aufgebracht wurden im Kontext des Lastenausgleichs für die Menschen, die vertrieben wurden aus den ehemaligen Ostgebieten; das waren die 90 Milliarden im Kontext der Entschädigung für die Holocaust-Opfer. Und gleichzeitig haben beide Dinge die deutsche Wirtschaft angekurbelt. Gerade für mich als Juden ist es ein Ärgernis, dass man in diesem Land im Allgemeinen und bei Leuten, die veranlagt sind wie Herr Sarrazin, immer und ewig auf den Holocaust zu sprechen kommt. Und glaubt, man könnte mit dem Hinweis auf die Shoa etwas desavouieren, was in diesem Kontext gar nicht zu desavouieren ist.



domradio.de: Am Sonntag war Sarrazin ja zu Gast in der ARD-Sendung "Günther Jauch" und auch damit hat er im Vorfeld für viele Proteste gesorgt. Vor dem Gasometer in Berlin gab es zum Beispiel Demos, dort wurde die Sendung ausgestrahlt. Auf Transparenten war zu lesen: "Nein zu Rassismus". Trifft es das in ihren Augen? Sind Sarrazins Äußerungen erneut rassistisch?

Ginzel: In diesem Kontext nicht. In diesem Kontext sind sie einfach politisch und geschichtlich unsinnig. Man muss jetzt nicht genauso primitiv zurückprügeln und von Rassismus sprechen. Wenn Sie eine gewisse Prominenz erreicht haben, ist kein Schwachsinn zu groß, als dass sie nicht von irgendwelchen Talkshows eingeladen werden. Das ist das Ärgerliche. Es ist das Ärgerliche der Popularisierung einer ausgesprochen unerfreulichen Gesprächs- und Debattenkultur durch diese inflationäre Form von Talk-Shows, die sich wechselseitig Leute und Themen abspinstig machen, ohne dass es uns weiter hilft.



Das Gespräch führte Tobias Fricke - hören Sie es hier in voller Länge nach.