Ein Kommentar zur Causa Röttgen von Ingo Brüggenjürgen

Ist das gut christlich? Ist das vorbildlich?

Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen / © Boecker
Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen / © Boecker

"Das war kein Rücktritt, sondern ein harter, um nicht zu sagen brutaler Rausschmiss!", sagte mir heute in Mannheim Wolfgang Thierse. Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages hatte gerade zusammen mit vielen Gläubigen beim 98. Katholikentag den Gottesdienst gefeiert und fand danach wenig Verständnis für das Verhalten der Bundeskanzlerin in der Causa Röttgen: "Wenn man am Montag nach der Wahlniederlage in NRW noch sagt, dass man die Niederlage solidarisch mitträgt, dann kann man ihn nicht zwei Tage später einfach rausschmeißen. Das ist menschlich unangenehm und ich glaube auch politisch wirklich nicht hilfreich für sie!"



Ganz gleich ob es politisch opportun ist oder nicht: Heiligt der Zweck immer die Mittel? Bleibt das Menschliche jetzt auch in der Partei, die doch so stolz auf ihr C ist, immer mehr völlig auf der Strecke? Natürlich ist Politik, die zumeist knallharte Machtpolitik ist, kein harmonischer Streichel- und Kuschelzoo und auch Thierse gab ihm Gespräch freimütig zu, dass solche Schritte in der Politik bisweilen notwendig seien.



Aber wohin kommt eine Gesellschaft, in der selbst die christlichen Demokraten sich mit brutalst-möglicher Offenheit gegenseitig aus dem Weg räumen, wenn der Erfolg einmal ausbleibt? Wer Fehler gemacht hat - und das bestreitet ja auch Röttgen nicht - wird einfach eiskalt zurückgelassen. Das Machtspiel verzeiht keine Fehler. Wer gefallen ist, dem wird nicht solidarisch wieder auf die Beine geholfen sondern einfach abserviert, eiskalt liegengelassen. Unionskollege und Parteifreund Seehofer trat sogar im Lichte der TV-Scheinwerfer noch einmal medienwirksam nach. Pfui Teufel, möchte man da ausrufen!



Ist das gut christlich? Ist das vorbildlich? Selbst wenn es politisch hilfreich sein sollte, was noch lange nicht ausgemacht ist, möchte man da nicht länger zuschauen. Ist Politik wirklich nur noch ein schmutziges Geschäft für knallharte Egoisten und Machtmenschen? Da wendet sich der einfache Beobachter mit Grausen ab.



Eine Gesellschaft, in der kein Platz für Verlierer ist, eine Gesellschaft, die keine Fehler verzeiht: Wer will die wirklich? Zeigen nicht gerade die jüngsten Wahlergebnisse eine wachsende Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Politikstil und ein Hin zu einer Politik mit mehr Herz und Gefühl?



Auf dem Katholikentag in Mannheim wagen die Christen gerade einen neuen Aufbruch. Einen Aufbruch im Vertrauen auf Gott, im Vertrauen auf die Liebe. Einen Aufbruch in eine neue Zeit, in der Frieden und Gerechtigkeit für jedermann die Leitbilder sind und in der Solidarität kein Fremdwort ist. Im warmen Sonnenlicht von Mannheim gibt es viele engagierte Mutmacher und viel hoffnungsvolle Signale. Vielleicht sind die sogar in Berlin zu hören?