Bonner Stadtdechant zur Salafisten-Debatte

"Kampf dieser extremen Gruppe"

Viel wird zur Zeit über die Salafisten diskutiert. Durch das kostenlose Verteilen des Korans erregte die radikalislamische Gruppe zunächst viel Aufmerksamkeit. Vergangenes Wochenende gab es dann in Bonn gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Salafisten, Rechtsextremen und der Polizei. Im domradio.de-Interview: Der Bonner Stadtdechant Monsignore Wilfried Schumacher über die Folgen für die Stadt und den interreligösen Dialog.

 (DR)

domradio.de: Wie haben Sie die Auseinandersetzungen in Bonn am Wochenende erlebt - was hat das für die Stadt bedeutet?--
Monsignore Wilfried Schumacher: Für die Stadt bedeutet das, dass wir seit vergangenen Samstag in die negativen Schlagzeilen von Presse, Funk und Fernsehen geraten sind. Immer wieder wird auf diese gewaltsamen Auseinandersetzungen rekurriert - das ist für die Stadt sicherlich etwas Bedauerliches. Vier Tage vorher haben wir erlebt, dass fast 1.000 Menschen ganz friedlich gegen einen Aufmarsch von Rechtsextremisten im Stadtteil Beuel demonstriert haben - das war ein ganz anderes Bild



domradio.de: Wie schätzen Sie denn die Bedeutung der Salafisten ein - ist das nicht eine sehr kleine, radikal-islamische Gruppe, die sehr viel Krach macht? --
Monsignore Schumacher: Wenn ich das richtig einschätze, was uns in den Medien vermittelt wird und was wir hin und wieder in unserer Stadt erleben, ist die Gruppe der Salafisten eine extreme Gruppe innerhalb des Islams, die schon in der Art und Weise des Auftretens sehr viel Aufsehen erregt und auch bekämpft werden muss. Ich weiß von den Muslimen in unserer Stadt, insbesondere vom Rat der Muslime, dass sie sich eindeutig von diesen Extremisten distanzieren. Und mir tut es leid, dass diese extreme Gruppe ein so schlechtes Licht auf die Gesamtheit der Muslime wirft. Andererseits muss ich aber auch sagen, was ich beobachte, ist: Plötzlich sind in unserem Land alle aufgeschreckt und plötzlich wird vielen wieder bewusst: Eigentlich haben wir eine christliche Tradition, wir haben christliche Wurzeln, wir haben eine christliche Geschichte. Das war vielen in den letzten Jahren mehr oder weniger gleichgültig bzw. war es fast schon schick, sich nicht zu dieser Geschichte zu bekennen. Mehr noch als die Bekämpfung dieser Extremisten wäre mir daran gelegen, dass die Christen in unserem Land sich wieder darauf besinnen und wir alles tun, um diese unsere christliche Prägung auch zu erhalten. Mit dieser Überschrift "Multikulti" geht ja vieles von unserer Prägung verloren.



domradio.de: Solche Vereinigungen wie die Salafisten - stören die das Miteinander der Religionen, das doch im Alltag eigentlich ganz gut und friedlich funktioniert? --
Monsignore Schumacher: Ja natürlich stören die das Miteinander der Religionen! Wir haben hier in Bonn im vergangenen Jahr einen Rat der Religionen gegründet, wir sind in einem sehr, sehr guten Gespräch mit unseren jüdischen Mitbürger/innen, unseren muslimischen Mitbürger/innen, genauso gut auch mit anderen Religionsgruppen. Viele Menschen können da nicht differenzieren und das macht das Zusammenleben dann schon sehr schwer, das steht fest.



domradio.de: Wie sieht denn das Miteinander der Religionen in Ihrer Stadt, in Bonn aus?--
Monsignore Schumacher: Der Rat der Religionen in Bonn, der ja auf Anregung des Superintendenten und von mir zustande gekommene ist, ist in erster Linie eine Kommunikationsplattform, das heißt wir versuchen, miteinander im Gespräch zu bleiben, wir besuchen uns regelmäßig bei verschiedenen Veranstaltungen und wir schauen, dass das Miteinander der Religionen gelingt und dass es eben nicht gestört wird durch solche extremen Handlungen, wie wir sie letzte Woche erlebt haben. Allerdings dürfen wir auch nicht außer Acht lassen, was der Anlass für die gewaltsamen Auseinandersetzungen ist, wir müssen auch aufpassen, dass die rechts- und linksextremen politischen Gruppen in unserem Land nicht auch die Stimmung im Land verderben.



Das Interview führte Anna Kohn.



Hintergrund

Als Konsequenz aus den Gewaltakten radikaler Salafisten fordern Politiker von Union und FDP ein härteres Vorgehen. Die Vorschläge sind weitreichend: Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit soll eingeschränkt, gewaltbereite Salafisten ausgewiesen werden.



Es gebe die Möglichkeit, über das Bundesverfassungsgericht die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken, "wenn man aggressiv kämpferisch gegen unsere demokratische Grundordnung vorgeht", sagte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) dem RTL-Magazin "Stern TV". Nach seiner Ansicht sei dies in "einigen Punkten" bei den Salafisten erfüllt, "sodass man jetzt darüber nachdenken muss".



Schünemann hält nach eigenen Angaben den Salafismus für eine der größten Gefahren in Deutschland. "Salafismus ist der Nährboden für Terrorismus. Jeder Anschlag, der islamistischen Hintergrund hatte, war von salafistischer Ideologie inspiriert", sagte er weiter. Ein Salafisten-Verbot erscheint ihm jedoch nicht durchsetzbar. "Auch extreme religiöse Bewegungen kann man nicht verbieten. Man kann höchstens Vereine verbieten, die solche Bewegungen unterstützen." Innenminister Hans-Peter Friedrich hatte angekündigt ein Verbot von Vereinen der radikalislamischen Strömung prüfen zu lassen.



Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger äußerte sich deutlich zurückhaltender. Das Wort "Verbot" nahm sie erst gar nicht in den Mund. "Unser Rechtsstaat ist genau dafür da, mit solchen Problemen angemessen umzugehen und ist handlungsfähig", sagte die FDP-Politikerin. Allerdings bekräftigte auch sie, die Ereignisse in Nordrhein-Westfalen müssten "ernst genommen werden, wie das Problem des radikalen Salafismus insgesamt". Dazu brauche es jedoch "keine parteipolitisch gefärbte Auseinandersetzung".



Uhl: "Unser Land schnellstmöglich verlassen"

Für eine Ausweisung gewaltbereiter Salafisten plädierte der integrationspolitische Sprecher der FDP, Serkan Tören. "Salafisten, die gewaltsam gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgehen, müssen ausgebürgert werden", sagte Tören der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Donnerstagausgabe). Jeder, der in Deutschland eingebürgert worden sei, habe sich mit einer Loyalitätserklärung zu den Werten des Grundgesetzes bekannt.



Auch CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl plädierte bereits für eine Ausweisung: "Jeder, der in Deutschland lebt, muss unsere freiheitlich demokratische Grundordnung akzeptieren. Wer diese Werte ablehnt, der soll unser Land schnellstmöglich verlassen", sagte Uhl der "Bild"-Zeitung.



Auch die SPD verlangte ein entschlossenes Vorgehen. "Wir werden alle rechtsstaatlichen Mittel ausschöpfen müssen, um gewalttätige Salafisten zu bekämpfen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann. Dazu zählte er eine konsequente Strafverfolgung, eine harte Bestrafung, aber auch Vereinsverbote.



Beschwichtigende Stimmen

Grünen-Chefin Claudia Roth warf der Union jedoch vor, das Thema zu Wahlkampfzwecken zu missbrauchen. Sie kritisierte, dass in der Debatte nicht ausreichend zwischen gewaltbereiten Salafisten und der überwiegenden Mehrheit der friedlichen Muslime unterschieden werde. Dies spiele "den Neonazis in die Hände", sagte Roth der "Augsburger Allgemeinen". Zudem würde dadurch eine "verallgemeinernde islamfeindliche Stimmung" geschürt.



Entgegen den politischen Forderungen nach einem Verbot salafistisch-islamistischer Vereine plädiert der Trierer Verfassungsrichter Gerhard Robbers für Vorsicht und Zurückhaltung. "Ein Verbot kommt nur als letztes Mittel in Betracht, wenn alle anderen Möglichkeiten versagen", sagte der Präsident des Hamburger Kirchentages 2013 am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Extremismus als solcher reiche für ein Verbot nicht aus.



"Es müssen konkrete und schwerwiegende Verstöße gegen die Rechtsordnung nachweisbar sein", sagte der Professor für Öffentliches Recht an der Universität Trier. Kurzfristig könne nur gegen konkrete Rechtsverstöße vorgegangen werden. "Wenn Gewalttaten verübt wurden, müssen die Täter zur Rechenschaft gezogen werden."



Im Umgang mit radikalen Gruppierungen sei stattdessen Überzeugungsarbeit nötig. sagte Robbers. Langfristig sei das eine Bildungsaufgabe. "Der Rechtsstaat bewährt sich nur dann, wenn er seinen Prinzipien treu bleibt."



Robbers widersprach Forderungen nach einer Einschränkung des Demonstrations- und Versammlungsrechtes. Der Jurist sieht ausreichend Mittel, um gewalttätige Demonstrationen aufzulösen oder zu untersagen. "Neue Gesetze sind da nicht erforderlich." Die vorhandenen Instrumente müssten allerdings konsequent genutzt und die Polizei angemessen finanziell und personell ausgestattet werden.



Robbers ist Präsident des 34. Deutschen Evangelischen Kirchentags, der vom 1. bis 5. Mai 2013 in Hamburg stattfindet. Er lehrt seit 1989 Öffentliches Recht an der Universität Trier und ist Richter im Nebenamt am Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz.



Etwa 10.000 Salafisten in Deutschland

Laut Verfassungsschutz gibt es derzeit in Deutschland etwa 3.800 Salafisten. Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg rechnet mit weitaus mehr Anhängern. "Diese Zahlen entsprechen nicht der Realität", sagte Steinberg bei "Stern TV". Er gehe von etwa 10.000 Salafisten in Deutschland aus.



Am Wochenende hatten Salafisten nach einer Anti-Islam-Kundgebung der rechtsextremen Splitterpartei Pro NRW in Bonn 29 Polizisten verletzt. Gewaltsame Übergriffe gab es vor wenigen Tagen auch in Solingen und Berlin. Die Islamisten erregen seit einiger Zeit bundesweit Aufmerksamkeit, weil sie kostenlose Koran-Ausgaben an die Bürger verteilen. Innenminister Friedrich hält die religiöse Strömung für eine Keimzelle des islamistischen Terrors in Deutschland. So gehörten auch die Attentäter vom 11. September in New York und die Bombenleger von Madrid und London den Salafisten an.