Wie die katholische Kirche die Herausforderung Reformationsjubiläum annimmt

Gedenken, nicht feiern

2017 jährt sich Martin Luthers Thesenanschlag zum 500. Mal. Die Vorbereitungen auf das Jubiläumsjahr laufen – auch auf katholischer Seite: Wolfgang Thönissen, Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik, im domradio.de-Interview über Schwierigkeiten und Chancen.

 (DR)

domradio.de: Der römische Kurienkardinal Kurt Koch erhofft sich im Zusammenhang mit der Reformation statt einer Jubiläumsfeier ein "beidseitiges Schuldbekenntnis" , er spricht sogar von Sünde mit Blick auf die Spaltung - ist die Reformation nach wie vor ein rotes Tuch für Katholiken?

Thönissen: Nein, die Reformation ist nicht mehr ein rotes Tuch. Selbstverständlich ist die sie Anlass zu einem Gedenken. Dieses Gedenken muss die Frage nach der Spaltung einschließen. Aber es sind zwei Dinge, die wir sehen müssen: Einmal ist da die Spaltung, die mit der Reformation einhergegangen ist. Und das andere ist, was die Reformation an Erneuerung und Herausforderung in der Kirche herbeigeführt hat. Diese beiden Dinge müssen wir gemeinsam bedenken. Und das ist auch das, was Kardinal Koch gesagt und gemeint hat. Reformation können wir zwar nicht feiern, wir können ihr gedenken. Und wir sollten ihr auch gemeinsam gedenken.



domradio.de: Gibt es eigentlich so etwas wie eine abschließende, amtliche Beurteilung der Reformation durch die Katholische Kirche?

Thönissen: Eine abschließende Betrachtung nicht, es gibt einen langen Weg der Auseinandersetzung mit der Reformation. Die letzten 60 bis 70 Jahre hat es sicherlich viele Neuerungen gegeben durch das, was wir die katholische Luther-Forschung nennen, die sehr viel für einen neuen Zugang zur Herausforderung Reformation getan hat. Deshalb können wir heute sehr viel differenzierter mit dem Gegenstand Reformation umgehen. Es liegt auch viel gutes Potenzial in der Reformation - ohne die Frage nach der Spaltung von vornherein als eine der Hauptfragen zu betrachten.



domradio.de: Was kann man denn als Katholik Positives aus der Reformation ziehen?

Thönissen: Zunächst - das hat Papst Benedikt XVI. im vergangenen Jahr in Erfurt selber getan - Luther als den Gottsucher zu sehen; als der, der die Frage nach Gott in einer Intensität neu aufgeworfen hat, wie sie auch für uns heute eine ganz wichtige und wesentliche Herausforderung ist. Das ist ein ganz wesentlicher und wichtiger Anknüpfungspunkt für evangelische und katholische Christen. Das andere, was deutlich geworden ist: welches Potenzial die Taufe besitzt; das Sakrament als das alleinige Eingangstor in das Heilswerk Christi. Bei Luther kann man von dieser hervorragenden Bedeutung der Taufe ausgehen - so hat es das Zweite Vatikanische Konzil ja auch getan. Und das Dritte ist die herausragende Bedeutung der Heiligen Schrift. Das ist in der katholischen Kirche eine Erneuerung gewesen im 20. Jahrhundert, wie sie all die Jahrhunderte zuvor vielleicht nicht in dieser Intensität deutlich geworden ist: das Leben in und mit der Heiligen Schrift, das Wort Gottes, das den Menschen zugesagt ist. Das sind ganz wesentliche Einsichten, die wir Katholiken in der Auseinandersetzung mit den Reformatoren wohl neu errungen haben.



domradio.de: Aus katholischer Sicht: Was überwiegt mehr bei der Reformation - der Schmerz über die Spaltung oder der Impuls für eine Erneuerung?

Thönissen: Wenn wir in die Vergangenheit blicken, können wir sicher beides sagen. Die Kirche war reformfähig und sie war reformbedürftig. Jetzt kann man natürlich abwägen: Die Reformbedürftigkeit hat in vielen Ländern außerhalb Deutschlands - wie Italien und Spanien - neue Reformbewegungen hervorgebracht, so eben auch in Deutschland. Von daher betrachtet sind die Ursprünge und Anfänge in diesem weiten Kontext als Erneuerungsbewegungen zu lesen. Das Tragische ist auf der anderen Seite, dass diese Erneuerungsbewegung aus der Kirche herausgeführt und zu einer Spaltung der abendländischen Kirche geführt hat. Das ist ein Aspekt, den wir heute gemeinsam auch sehr kritisch bedenken müssen, weil es eben nicht ohne Schuld auf beiden Seiten geschehen ist, wie das Zweite Vatikanische Konzil festgehalten hat. Insoweit ist die Reformation heute - zumindest für die Christen in Deutschland - eine Herausforderung, beides zu bedenken: die Erneuerung und die leider nicht zustande gekommene Erneuerung, weil sie in der Spaltung endete. Diese Spaltung zu beenden, darauf müsste das Hauptaugenmerk unseres gemeinsamen ökumenischen Tuns gerichtet sein.



domradio.de: Wie könnte sich die Katholische Kirche Ihrer Meinung nach am besten an den Feierlichkeiten zum Jubiläum beteiligen?

Thönissen: Wenn wir nicht von direkten Feierlichkeiten ausgehen, sondern den Gesichtspunkt des Gedenkens in den Vordergrund stellen, kann man sicher sagen: Die katholische Kirche hat dazu schon etwas beigetragen, denn es gibt einen Dialog auf internationaler Ebene mit dem Lutherischen Weltbund; diese Kommission bedenkt im Augenblick einen gemeinsamen Text. 2017 ist das erste Reformationsgedenken im ökumenischen Zeitalter. Da kommt mit Sicherheit eine gemeinsame Aussage. Dann haben wir auf wissenschaftlicher Ebene hier in Deutschland ein gemeinsames Projekt, das sich um die Frage des Ausgang des Ablassstreites bemüht: Wie ist das damals gewesen? Zum anderen wird die katholische Kirche einen eigenen Lutherkongress im Augustiner-Kloster veranstalten. Das sind Anfänge, die zeigen, dass die katholische Kirche die Herausforderung annimmt.



Aufgabe des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn ist die wissenschaftliche Erforschung und die Darstellung der Lehre, der Feier der Gottesdienste, der Frömmigkeit sowie aller weiteren Äußerungen des religiösen Lebens der verschiedenen Konfessionen und Bekenntnisse. Der Schwerpunkt liegt hier auf den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und Freikirchen sowie der Ostkirchenkunde.



Das Gespräch führte Mathias Peter.