Bundesregierung verabschiedet Demografiestrategie

Verlassene Dörfer

Ausgestorbene Landstriche, auf dem Kopf stehende Alterspyramiden und hilflose Rentnerheere, die einen Generationenkrieg gegen eine überforderte Jugend führen. Wer sich mit dem demografischen Wandel befasst, landet schnell bei schwärzesten Zukunftsszenarien. Demgegenüber setzt die Bundesregierung auf eine langfristige Anpassung und plädiert in ihrer Demografiestrategie, die "Chancen der Schrumpfung" zu sehen.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Das Kabinett hat am Mittwoch die von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in Zusammenarbeit mit anderen Ressorts erarbeitete Demografiestrategie verabschiedet. In dem 73-seitigen Papier werden Felder genannt, mit denen die Bundesrepublik auf eine zurückgehende und gleichzeitig alternde Bevölkerung reagieren will: die Stärkung der Familien etwa durch bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und lebenslanges Lernen, Schritte zu einem selbstbestimmten Leben im Alter, die Sicherung des Wohlstands, auch durch Zuzug ausländischer Fachkräfte, und die Erhaltung der staatlichen Handlungsfähigkeit durch die Begrenzung der Staatsverschuldung.



Einmal im Jahr soll es einen Demografiegipfel geben

Der demografische Wandel ist als großes Zukunftsthema angekommen. Für Friedrich ist die Verabschiedung der Demografiestrategie der Startschuss für eine langfristig angelegte Politik. Künftig soll es jedes Jahr einen Demografiegipfel geben, zum ersten Mal im Herbst.



Kritiker halten der Politik allerdings vor, viel zu spät zu reagieren. Seit vier Jahrzehnten hätten die Verantwortlichen Zeit gehabt, sich auf sinkende Bevölkerungszahlen und einen steigenden Anteil an älteren Menschen einzustellen, schreibt der Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, Reiner Klingholz, am Mittwoch in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung".



Die Demografiestrategie wertete Klingholz als ein "Sammelsurium disparater Maßnahmen", das die Knackpunkte ausspare. Etwa das Ausmaß des Rückgangs der erwerbsfähigen Bevölkerung oder auch die immensen Versorgungsverpflichtungen des Staates für Beamte und Soldaten. Auch bei der Zuwanderung ausländischer Fachkräfte bleibe das Papier halbherzig: Das Land brauche einen starken Zustrom junger Eliten aus dem Ausland. Bislang gelte trotz aller gegenteiligen Beteuerungen immer noch das seit den 1970er Jahren existierende Prinzip einer sehr restriktiven Zuwanderungspolitik.



Fest steht, dass es Gewinner und Verlierer geben wird. Die Raumplaner etwa sind sicher: Die Bürger werden enger zusammenrücken und vor allem aus den Speckgürteln zurück in die Stadt ziehen. Dafür müssen Bushaltestellen und Fußgängerwege ausgebaut, mehr Parks geschaffen werden. In Metropolen wie Berlin, so schätzt das Statistische Bundesamt, wird im Jahr 2030 in knapp 60 Prozent der Haushalte nur noch eine Person wohnen. Die Quartiere müssen so gestaltet werden, dass soziale Kontakte entstehen können.



Radikale Vorschläge: Rückbau von Dörfern

Besonders brisant wird die Lage nach Darstellung von Friedrich auf dem Land, wo etwa Kommunen Schulen schließen müssten, Immobilienpreise verfielen und der Lehrstand wachse. Gerade ländliche Räume, hat auch das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2011 in einer Studie über "Die Zukunft der Dörfer" festgestellt, stehen unter Veränderungsdruck. Der demografische Wandel verstärke die Landflucht. Infrastruktur wie Leitungen für Wasser, Gas oder Telekommunikation oder Straßen und öffentliche Dienste seien für immer weniger Menschen kaum mehr zu finanzieren.



Die Vorschläge klingen radikal und schmerzhaft: Orte, in denen nur noch wenige ältere Bewohner zurückbleiben, sollten Programme entwickeln, um den Umzug der Betroffenen in größere Orte finanziell zu unterstützen. Um Ortsbilder attraktiv zu erhalten, schlagen die Wissenschaftler die Gründung eines Fonds vor, der "den Rückbau von Dörfern und den Abriss von Schrottimmobilien finanziert".