Kulturjournalist Kissler zum Verhältnis der Deutschen zu ihrem Papst

Apostel der Gerechtigkeit

Am Montag wird der Papst 85 Jahre alt. "Haben wir genug von Benedikt XVI.?" Dieser Frage widmet sich der katholische Kulturjournalist und Autor Alexander Kissler in seinem Artikel in der neuen Ausgabe von "Christ und Welt", der Beilage von "Die Zeit". Im domradio.de-Interview erläutert er, warum für ihn der Papst "Apostel der Gerechtigkeit, Anwalt der Freiheit und Freund des Schönen" ist.

 (DR)

domradio.de: Haben wir genug von Papst Benedikt XVI.?

Alexander Kissler: Die Frage ist natürlich: Wer ist dieses wir? Natürlich gibt es inner- und außerhalb der Kirche Menschen, die mit dem, was er sagt und wofür er steht, wenig anfangen können. Wenn wir jedoch seine Botschaft ernstnehmen, dann können wir durchaus bei unvoreingenommener Betrachtung zu dem Ergebnis kommen, dass das, was er sagt, sehr gut in unsere Zeit passt und eine wichtige Botschaft darstellt.  



domradio.de: Papst Benedikt XVI. verfolgt das Ziel, die Herde der weit über eine Milliarde Katholiken zusammenzuhalten. Er will sie gegen die Versuchung einer "gottabgewandten" und konsumorientierten Welt wappnen. Gelingt ihm das?

Kissler: Das ist sehr schwierig, und er braucht dazu natürlich auch die Hände derer, die ihn unterstützen, und die Ohren derer, die auf ihn hören, seine Texte lesen, ihn ernstnehmen. Aber ich glaube, er hat zwei entscheidende Punkte richtig erkannt: Zum einen gibt eine große Versuchung, die uns, ob wir nun Christen sind oder nicht, vom Pfad des Heils abbringen kann, nämlich die Versuchung, alles nur noch nach dem Sichtbarem, nach den äußerlichen Kriterien auszurichten, also gewissermaßen dem Gott Mammon oder dem Gott der öffentlichen Aufmerksamkeit alles andere unterzuordnen. Du bist dann etwas, wenn Du wahrgenommen wirst, wenn Du Geld hast, wenn Du schön bist. Und da sagt Benedikt: Nein, das bist Du nicht, Du bist immer geliebt von Gott! Und das zweite ist eine Botschaft, die auch in die Kirche hineinreicht, die sagt - und deshalb hat er ja auch ein Jahr des Glaubens ausgerufen -: Liebe Kirche, beschäftige Dich neu mit Deinen Grundlagen. Und vielleicht wäre es ja gut, wenn Du am Ende dieses Jahres des Glaubens alles und all überall auf der Welt mit neuer Überzeugungskraft das Credo, das Glaubensbekenntnis aussprechen könntest. Und ich glaube, da haben doch viele innerhalb der Kirche genug mit zu tun.



domradio.de: Sie schreiben, Papst Benedikt XVI. erweist sich als Mystiker und als Apostel der Gerechtigkeit, Anwalt der Freiheit, Freund des Schönen. Wie ist das gemeint?

Kissler: Das sind vier Punkte, die man immer wieder bei seinen Reden und Äußerungen bemerkt. Mystiker in dem Sinne, dass er sagt: Du musst nach innen schauen, Du musst auf Deine innere Stimme hören, Du musst ein hörendes Herz entwickeln. Gerechtigkeit bedeutet, wie ich eben andeutete, dass also nicht der Mächtige, nicht der Stärkere sich durchsetzten soll, sondern der, der sich würdig verhält. Dass man auf diese Weise eine Gesellschaft erhält, in der die Gerechtigkeit mehr ist als sie heute - leider Gottes - darstellt. Er sagt z.B. auch einmal den schönen Satz: Wir brauchen mehr Gerechtigkeit, und das geht nur, wenn wir selbst Gerechte werden. Wenn wir uns also in unserem Umfeld gerecht verhalten. Und dann ist für ihn eben Wahrheit und Schönheit unabdingbar miteinander verbunden, das ist die alte klassische Trias vom Guten, Wahren, Schönen. Die versucht er neu zu beleben. Und das ist meines Erachtens ein sehr interessanter und schöner, ein feiner Gedanke, dass man sagt: Im Schönen, das uns umgibt, sehen wir eine Spur Gottes.



domradio.de: Warum ist - Ihrer Meinung nach - der jetzige Papst nicht so ein, wie Sie schreiben, Bilderproduzent, wie es der Wojtyla-Papst war?

Kissler: Das ist in der Tat ein großer Unterschied. Karol Wojtyla hat ja lebenslang von den Theatererfahrungen seiner Jugend gezehrt. Er war also ein prädestinierter Menschenfischer auch durch das Bild. Benedikt XVI kommt natürlich von der Denkerstube, er ist nach wie vor, und das sollte man ihm auch nicht vorwerfen ein Gelehrter, er ist ein Mensch der Bücher, ein Mensch der Worte. Er lebt auch für das, was er schreibt, das was er sagen kann. Aber das kann ein sehr interessanter Kontrapunkt sein heute, da wir all überall eine Bilderflut, ja manchmal eine Diktatur der Bilder beklagen, da kommt dieser kleine unscheinbare Mensch und sagt: Hört zu: Lest!



domradio.de: In Ihrem Artikel ist auch zu lesen, dass die Wahrheit vielerorts zum Unwort herabgesunken ist. Wie ist das zu verstehen?

Kissler: Das ist so. Das lernen wir auch in unseren täglichen Gesprächen im Freundeskreis: Man redet über irgendetwas, das einem sehr, sehr wichtig ist. Und man kommt dann sehr schnell an den Punkt, dass man sagt: Na gut, Du siehst das so. Ich sehe das anders. Es gibt aber Punkte, die einfach in sich falsch sind. Wenn wir z.B. an das große Tötungsverbot denken. Also Punkte, die nicht diesem Abwägen, diesem persönlichen Meinen zugänglich sind. Und Benedikt sagt: Es muss solche Bereiche geben, sowohl in der Kirche - da nennt man sie manchmal Dogmen - als auch in der Gesellschaft. Es muss Punkte geben, bei denen wir uns alle einig sind: Das ist wahr und das ist falsch. Und wenn wir eben diese Alltagsvermutung, die ich eben geschildert habe, auch in den Kernbereich des Politischen Einzug halten lassen und sagen: Jeder denkt was anderes, jeder soll nach seiner Façon glücklich werden, dann zerreißt das Band zwischen den Menschen. Und dann sind wir auch keine Gesellschaft, keine Gemeinschaft mehr, sondern nur noch eine Versammlung beziehungsloser Monaden.

Das Interview führte Tobias Fricke.



Hinweis

Ein Artikel des Autors und Kulturjournalisten Alexander Kissler zum Thema ist in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" erschienen, in der Beilage "Christ und Welt".