Der evangelische Auslandsbischof Schindehütte zum Syrien-Konflikt

"Wir arbeiten zu lange mit Diktatoren zusammen"

Ein militärischer Eingriff in Syrien ist nur denkbar, falls die Diplomatie scheitert und Leib und Leben vieler Menschen massiv bedroht sind: Martin Schindehütte, Auslandsbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hält eine Intervention für das allerletzte Mittel, um den Syrien-Konflikt zu lösen. Zuerst müsse eine Lösung auf diplomatischem Weg versucht werden, und da zeichne sich ein allmählicher Wandel ab, sagte Schindehütte. Auch die Christen seien gefordert. "Wir müssen dafür eintreten, dass die Christen in Syrien zusammen mit moderaten Muslimen daran mitwirken, den fürchterlichen Bürgerkrieg zu beenden."

 (DR)

epd: Herr Bischof Schindehütte, die Gewalt in Syrien dauert schon über ein Jahr an. Nun weckt ein Friedensplan Hoffnung, aber es werden Zweifel laut. Wie lange können wir dem Morden noch zuschauen?

Schindehütte: Wir können nicht zuschauen. Das ist zu schmerzlich. Wir müssen nach Möglichkeiten fragen, der Gewalt in Syrien auf politischem Weg ein Ende zu setzen. Initiativen wie die des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan sind der richtige Weg. Mir scheint, dass sich die Situation langsam wandelt. Wenn ich es richtig wahrnehme, steht Russland nicht mehr so fest an der Seite des Assad-Regimes.



epd: Was ist, wenn die Diplomatie den Syrien-Konflikt nicht lösen kann?

Schindehütte: Wenn die Lage trotz Diplomatie weiter eskaliert, kennen wir in der Friedensethik der evangelischen Kirche den Einsatz der rechtserhaltenden Gewalt. Das ist eine Intervention, die an strenge Kriterien gebunden ist: Ein militärischer Eingriff darf nur mit einem Mandat der Vereinten Nationen erfolgen, seine Mittel müssen angemessen sein, Ziel und Ende müssen klar definiert sein.



epd: Was bedeutet die Friedensethik im Fall Syrien?

Schindehütte: Ich bin der Letzte, der nach militärischer Intervention schreit. Aber es kann die Situation eintreten, dass man Menschen schützen muss, die massiv an Leib und Leben bedroht sind. Wenn ein Völkermord droht, dann muss man intervenieren. Ich würde eine Intervention in Syrien nicht grundsätzlich ausschließen. Es ist aber das allerallerletzte Mittel. Zuerst muss eine Lösung auf diplomatischem Weg versucht werden.



epd: Welche Verantwortung hat der Westen?

Schindehütte: Leider arbeiten wir oft zu lange mit diktatorischen Regimen zusammen - und sehen dann mit Schrecken, wozu diese fähig sind. Das zeigt auch der Fall Libyen. Wir hätten zu Zeiten, als die Gewalt noch nicht eskaliert war, mit den Machthabern über Menschenrechte und Demokratie sprechen müssen. Die demokratischen Staaten machen viel zu viel Kumpanei mit Diktatoren. Wir müssen unsere politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit an die Achtung der Menschenrechte binden.



epd: Etwa acht Prozent der 22 Millionen Syrer sind Christen, knapp zwei Millionen Menschen. Wie geht es ihnen während des Aufstands?

Schindehütte: Die Christen in Syrien sind in einer schwierigen Situation und in sich gespalten. Als Minderheit unter Muslimen haben die Kirchen im Nahen und Mittleren Osten über Jahrhunderte hindurch versucht, den Schutz der Mächtigen zu gewinnen. Denn die Alternative war womöglich, vertrieben oder vernichtet zu werden.



epd: Auf welcher Seite des Konflikts stehen die syrischen Christen?

Schindehütte: Die meisten Christen in Syrien schweigen. Manche stehen auch immer noch auf der Seite von Assad. Es gibt aber auch einige, die sich dem Widerstand angeschlossen haben. Deshalb gibt es in den syrischen Kirchen Konflikte. Anfang Dezember kamen auf Einladung des Ökumenischen Rats 30 Kirchenführer aus Syrien in Genf zusammen. Da konnte man dieses Dilemma mit Händen greifen.



epd: Ist es nicht auch die Angst vor den Islamisten, die die Christen auf Distanz zu den Aufständischen gehen lässt?

Schindehütte: Selbstverständlich ist es auch die Angst vor den Islamisten. Aber diese Angst teilen Christen und Muslime miteinander. Es gibt auch viel Gewalt zwischen Schiiten und Sunniten. Das darf man nicht vergessen. Die Christen sind in Syrien eine Minderheit in einem islamischen Umfeld, das gespalten ist. Deshalb igeln sich viele Kirchenführer ein, verhalten sich möglichst still, um unauffällig zu bleiben. Sie haben Verantwortung für ihre Gemeinden und wollen verhindern, dass ihre Kirche vertrieben oder ausgerottet wird.



epd: Wie bewerten Sie diese Haltung?

Schindehütte: Ich verurteile das nicht. Die Kirchen stecken in einem doppelten Dilemma. Trotzdem ist Schweigen kein Weg: Wir müssen dafür eintreten, dass die Christen in Syrien zusammen mit moderaten Muslimen daran mitwirken, den fürchterlichen Bürgerkrieg zu beenden. Die Christen in Syrien brauchen unsere Solidarität und unsere Gebete. Über den Ökumenischen Rat der Kirchen bieten wir ihnen Gespräche an. Und wir versuchen, humanitäre Hilfe zu leisten, so gut es eben geht.



epd: Es heißt, Christen seien von Salafisten aus ihren Häusern in der Rebellenhochburg Homs vertrieben worden. Was wissen Sie darüber?

Schindehütte: Das weiß ich nicht sicher. In den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten werden immer wieder Christen bedroht und vertrieben, das haben wir auch im Irak gesehen. Aus Syrien flüchten derzeit viele Menschen in die Türkei. Für Flüchtlinge, die in Syrien oder im Irak keinerlei Zukunft mehr haben, brauchen wir Resettlement-Programme, also die Aufnahme durch Länder, in denen sie dauerhaft und sicher leben können. Dabei ist auch Deutschland gefordert.



epd: Angeblich gibt es Einflüsse von Saudi-Arabien auf die Aufständischen in Syrien und ein Einsickern von Al-Kaida. Hat die arabische Revolution ihre Unschuld verloren?

Schindehütte: Es ist in den arabischen Staaten noch nicht ausgemacht, ob es zu demokratischen Gesellschaften kommt oder ob sich andere Bewegungen durchsetzen. In Ägypten gibt es ganz starke demokratische Kräfte, und die gibt es in Syrien auch. Wir dürfen aber auch nicht gleich die Demokratie verloren geben, wenn wie in Tunesien eine muslimisch geprägte Partei die Mehrheit erringt. Wir müssen genau hinschauen und sehen, wo die Kräfte sind, die eine freiheitlich-demokratische Ordnung wollen. Mit denen müssen wir zusammenarbeiten.



epd: Kann es zum Verschwinden des Christentums im arabischen Raum kommen?

Schindehütte: Das Schrumpfen der Gemeinden im Nahen und Mittleren Osten ist im vollen Gang. Gewalt und Bürgerkriege beschleunigen dies. Aber die meisten Christen gehen zu Friedenszeiten. Weil sie wirtschaftlich und gesellschaftlich keine Perspektive sehen. Sie fühlen sich als Christen diskriminiert und können bestimmte Positionen nicht erreichen. Junge Christen sind meist gut ausgebildet, haben internationale Beziehungen oder bereits Verwandte im Ausland. Das erleichtert die Auswanderung.



epd: Ein Exodus, dessen Ende nicht absehbar ist?

Schindehütte: Die Sorge ist groß, dass in den Ursprungsländern des Christentums eines Tages einmal fast keine Christen mehr sein könnten. Ein Beispiel: Die Bevölkerung der Türkei war um 1900 zu 25 Prozent christlich. Jetzt sind es 0,2 Prozent. War damals also jeder vierte Bewohner der Türkei ein Christ, ist es heute einer von 500.



Das Interview führte Elvira Treffinger (epd)