Mit seiner ersten Grundsatzrede erfüllt Joachim Gauck die Erwartungen

Der Präsident aller Deutschen

Es war die erste Grundsatzrede als Bundespräsident von Joachim Gauck, "eine spannende", wie im domradio.de-Interview der katholische Prälat Karl Jüsten befand. Das neue Staatsoberhaupt präsentierte sich als Liebhaber der Demokratie. Auch die Bürger nimmt er in die Pflicht.

 (DR)

Joachim Gauck ist als Bundespräsident vereidigt worden. Er leistete am Freitag in Berlin vor Bundestag und Bundesrat seinen Amtseid mit der religiösen Formel: "So wahr mir Gott helfe." In seiner ersten programmatischen Rede als Staatsoberhaupt warb der frühere DDR-Bürgerrechtler und evangelische Pfarrer eindringlich um Vertrauen in die Demokratie und forderte mehr Engagement. Dabei könne das Land gleichermaßen an die Geschichte West- wie Ostdeutschlands anknüpfen, betonte der 72-Jährige: "Ich empfinde mein Land als Land des Demokratie-Wunders", sagte Gauck.



Die Vereidigung fand im Reichstagsgebäude vor den Mitgliedern des Bundestags und des Bundesrats statt. Anwesend waren neben der Bundeskanzlerin und den Regierungsmitgliedern Gaucks Vorgänger Christian Wulff und dessen Frau Bettina sowie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Auch die Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und Horst Köhler verfolgten die Vereidigung von der Tribüne.



Das schwindende Vertrauen der Bürger in demokratische Institutionen und die geringe Wahlbeteiligung machten ihm Sorge, sagte Gauck. Er bat die Bevölkerung und die Politik um Vertrauen in seine Person und seine Amtsführung. "Wir haben alle nichts von einer Distanz zwischen Regierenden und Regierten." Er rief beide Seiten dazu auf, sich einander anzunähern. Die Erinnerung an Gelungenes in der deutschen Geschichte könne dafür die Kraftquelle sein.



Gauck geht auf seine Kritiker zu

Gauck würdigte neben der friedlichen Revolution in der DDR auch die 68er-Generation der Bundesrepublik. Sie habe die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen erzwungen und sei Vorbild für andere Gesellschaften geworden, "die das totalitäre Joch abgeschüttelt haben". Er wandte sich deutlich gegen Rechtsextremismus. "Speziell den rechtsextremen Verächtern der Demokratie sagen wir: Euer Hass ist unser Ansporn!" Die Demokratie sei stärker als ihre Feinde.



Gauck, der seine erste Reise als Staatsoberhaupt ins Nachbarland Polen antreten wird, rief zudem dazu auf, "in der Krise mehr Europa zu wagen". Zu seinem Hauptanliegen Freiheit sagte er, dass damit die Frage nach Gerechtigkeit eng verbunden sei. Freiheit sei Bedingung für Gerechtigkeit und Gerechtigkeit Bedingung dafür, Freiheit erlebbar zu machen. Der Sozialstaat dürfe niemanden ausgrenzen, nur weil er arm oder behindert ist. Damit ging er auf seine Kritiker zu, die ihm vorwerfen, soziale Schieflagen zu übersehen.



An seinen Vorgänger Christian Wulff gewandt, sagte Gauck, dessen Impulse für Miteinander und Toleranz würden auch ihm in seinem Amt "am Herzen liegen". Das Grundgesetz der Bundesrepublik sichere allen Menschen Würde zu, betonte der Bundespräsident.



Gemeinsamer Kandidat fast aller Parteien

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erklärte, Gaucks Wahl markiere den Fortschritt der inneren Einigung Deutschlands. Der frühere DDR-Bürgerrechtler und evangelische Pfarrer sei der erste Bundespräsident, der nicht aus dem Westen kommt. Gauck wisse aus eigener Anschauung, was ein Leben in Unfreiheit und Gängelung bedeute, sagte Lammert.



Bundesratspräsident Horst Seehofer (CSU) dankte Gaucks Vorgänger Wulff, der am 17. Februar zurückgetreten war. Als Bundespräsident habe er wichtige Impulse für Zusammenhalt und Integration gegeben und sei mutig für eine offene Gesellschaft eingetreten. Wulffs Frau Bettina habe dem modernen Deutschland ein Gesicht gegeben.



Wulff war am 17. Februar zurückgetreten. Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt gegen den früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten wegen des Verdachts der Vorteilsnahme. Gauck war am vergangenen Sonntag von der Bundesversammlung mit großer Mehrheit zum elften Bundespräsidenten gewählt worden. Er war der gemeinsame Kandidat von Union, FDP, der SPD und den Grünen.