Misereor-Chef Josef Sayer scheidet aus dem Amt

Ein Global Player geht von Bord

Führungswechsel beim weltweit größten katholischen Entwicklungshilfswerk: Mit einem Gottesdienst im Aachener Dom ist am Freitag der Hauptgeschäftsführer von Misereor, Josef Sayer, verabschiedet worden. Der 70-Jährige leitete das Hilfswerk seit 1997.

Autor/in:
Gottfried Bohl
 (DR)

Natürlich haben sich prominente Gäste angesagt - von Entwicklungsminister Dirk Niebel über zahlreiche andere Politiker, Kardinäle und Bischöfe aus aller Welt bis hin zu prominenten Theologen wie Johann Baptist Metz, Paolo Suess und Gustavo Gutierrez.



Auch auf seine letzten Tage im Amt kann er noch mal richtig zornig werden. Etwa wenn er an die "unsägliche Spekulation mit Lebensmitteln" denkt, an "sinnlose Kriege" in Irak und Afghanistan oder an den "schrecklichen" Klimagipfel von Kopenhagen: "Skandalös und kleinkariert" hätten die Regierenden hier aus "lauter Egoismus" Fortschritte beim Klimaschutz verhindert, schimpft Misereor-Chef Josef Sayer. Leidenschaftlich und engagiert wie immer, wenn es um Armut und Unrecht in der Welt geht.



Theorie und Praxis

Sayer ist ein echter Global Player: Geboren 1941 im heutigen Serbien, gelangte er nach Kriegsende nach Deutschland. Nach einem Studium der Theologie und Philosophie in Tübingen und Rom sowie einem Studium der Sozialwissenschaften und Geschichte in Konstanz lebte er von 1981 bis 1988 in Peru, das ihm zur zweiten Heimat geworden ist. Als Priester der Erzdiözese Cuzco war er vor allem in der Seelsorge mit Quechua-Kleinbauern in den Anden tätig. 1987 und 1988 arbeitete er in einer Slumpfarrei in Lima.



Gemeinsam mit der Peruanischen Bischofskonferenz entwickelte Sayer während des dortigen Bürgerkriegs Konzepte für die Arbeit der Kirche in sozialen Fragen und für Menschenrechte. Von 1988 bis 1998 lehrte er dann als Professor für Pastoraltheologie im Schweizerischen Fribourg.



Mit dieser Verbindung aus Theorie und Praxis ist Sayer zu einem wichtigen Gestalter der Entwicklungshilfe geworden. Und zu einem Mahner, der davor warnt, westliches Denken einfach auf die Länder des Südens zu übertragen. In Peru habe er erlebt, "dass wir mit unseren westlichen Methoden gar nicht die Zeit messen, die für die Menschen dort Bedeutung hat. Sie sind geprägt von wiederkehrenden Ereignissen, Festen, der Aussaat, der Sonne".



"Die Botschaft Jesu ist nie unpolitisch"

Sayer verlässt das 1958 gegründete Hilfswerk Misereor in einer Zeit, in der Entwicklungspolitik ganz neu diskutiert wird. Dabei sieht sich das Bischöfliche Hilfswerk gut aufgestellt: Gegründet in der Zeit des Kalten Krieges und des ausgehenden Kolonialismus, sollte die Hilfe von Misereor unabhängig von der Religionszugehörigkeit sein: "Das Armutskriterium sollte das einzige Kriterium sein - und ist es bis heute", betont Sayer.



Zu den Projekten gehören politische Bildung und Menschenrechtsarbeit: etwa die Förderung von Frauenrechten, Kampf gegen Kinderprostitution und den Einsatz von Kindersoldaten. Umweltschutz, Kampagnen gegen Aids, Rechtsbeistand für Flüchtlinge. Misereor setzt auf Dialog: Die Kirchen Asiens, Lateinamerikas und Afrikas sollen auch voneinander lernen, wie sie mit Krisen umgehen. Den Vorwurf, dass Misereor manchmal zu politisch sei, weist Sayer entschieden zurück: "Die Botschaft Jesu ist nie unpolitisch. Da geht es nie um ein frommes Wolkenkuckucksheim, sondern um konkrete Nächstenliebe."



Was Sayer nach dem 1. April macht? Die oft gestellte Frage hat er bewusst vor sich hergeschoben. Erst mal geht er in ein Kloster. Dort will er entscheiden, wie er seine Erfahrungen und Kräfte "noch sinnvoll einsetzen kann, so lange mir Gott Gesundheit und Kraft schenkt". Noch einmal nach Peru? Das will er nicht ausschließen. "Aber es könnte auch der Südsudan sein oder ein asiatisches Land."



Zunächst aber arbeitet er weiter - bis zum allerletzten Tag. Am 30. März steht noch ein Schulbesuch an, in der Realschule in Horrem bei Köln. Als Dank für die vielen Spendenläufe der Schüler für Misereor feiert er dort traditionell einen Gottesdienst zum Start der Osterferien. Diesmal bringt er seinen Nachfolger gleich mit: "Dann kann er sich gleich daran gewöhnen."