Vor 75 Jahren verurteilte Pius XI. die NS-Ideologie

"Mit brennender Sorge"

Hitlers Schergen kamen zu spät. Die Gestapo bekam erst am Vortag ein Exemplar jenes "hochverräterischen" Schreibens in die Hände, das am 21. März 1937 von rund 11.500 katholischen Kanzeln im ganzen Land verlesen wurde: Die Enzyklika "Mit brennender Sorge" war die erste und einzige öffentliche Verurteilung des Nationalsozialismus durch Papst Pius XI. (1922-1939) - und das bislang einzige päpstliche Rundschreiben, dessen Original auf Deutsch erschien.

Autor/in:
Thomas Jansen
 (DR)

"Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treu bleibenden Bekenner und Bekennerinnen ..." Mit diesen Worten hebt das päpstliche Rundschreiben an, das wie eine Bombe einschlug. Pius XI. verurteilte darin weltanschauliche Grundlagen des Nationalsozialismus wie die Verherrlichung von Volk und Rasse oder die Staatsvergötterung. Wer diese zur höchsten Norm aller Werte mache, der verkehre "die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge".



300.000 Exemplare per Sonderkurier aus Rom

Die deutschen Bischöfe hatten sich als Meister der Geheimhaltung im totalitären Staat erwiesen. Es war ihnen gelungen, Druck und Auslieferung von etwa 300.000 Exemplaren der Enzyklika rund eine Woche lang vor den Spitzeln des Regimes zu verbergen. Am 12. März

1937 hatte ein Sonderkurier aus Rom die Exemplare für die bischöflichen Verwaltungen in die päpstliche Botschaft nach Berlin gebracht; von hier aus wurden sie heimlich in die Bistümer geschafft und in Druckereien vertrauenswürdiger Katholiken vervielfältigt.



Pius XI. hatte die Enzyklika auf Wunsch der deutschen Bischöfe veröffentlicht. Diese hatte einsehen müssen, dass die Nationalsozialisten nicht willens waren, sich an das 1933 mit dem Heiligen Stuhl geschlossene Reichskonkordat zu halten. Katholische Vereine wurden aufgelöst, ihre Mitglieder schikaniert. Katholische Schulen waren zunehmend in ihrer Existenz bedroht. Zunächst hatten die Bischöfe und Pius XI. noch gehofft, es handele sich lediglich um Ausschreitungen von NS-Chargen der zweiten Reihe, die durch nichtöffentliche Proteste gegenüber der Reichsregierung abgestellt werden könnten.



In weiten Teilen aus der Feder des Münchner Kardinals Faulhaber

Doch dies erwies sich als Irrtum. Schließlich wandten sich die deutschen Bischöfe an Pius XI. Im Januar 1937 reisten der Münchner Kardinal Faulhaber, der Breslauer Kardinal Bertram sowie die Bischöfe von Berlin und Münster, Preysing und von Galen, zu Beratungen über das weitere Vorgehen in den Vatikan. Der Entwurf der Enzyklika stammt aus der Feder von Michael von Faulhaber. Pius XI. übernahm in seinem Rundschreiben wesentliche Teile des Entwurfs, den der Münchner Kardinal auf seinen Wunsch hin verfasst hatte.



Die Worte "Nationalsozialismus" und "Hitler" fallen darin nicht. Darauf hatten die deutschen Bischöfe gedrungen, um einen vollständigen Bruch mit Hitler zu vermeiden. Kritiker werfen Pius XI. aus diesem Grund ebenso wie seinem Nachfolger Pius XII. vor, den Nationalsozialismus und insbesondere den Antisemitismus nicht entschieden genug verurteilt zu haben. Seit einiger Zeit ist jedoch bekannt, dass Pius XI. eine eigene Enzyklika zur Verurteilung des Antisemitismus vorbereiten ließ, die jedoch aus bis heute nicht vollständig geklärten Gründen nie veröffentlicht wurde. Ein Grund dafür waren möglicherweise die heftigen Reaktionen des NS-Regimes auf "Mit brennender Sorge".



Kurz nach der Verlesung folgten harte Gegenmaßnahmen

Die Verlesung der Enzyklika in den Kirchen verlief nahezu ungestört durch die staatlichen Sicherheitsorgane. Zwischenfälle wie in Hauenhorst im Bistum Münster, wo ein Polizeibeamter auf die Kanzel stieg, um dem Geistlichen den Text wegzunehmen, blieben die Ausnahme. Unmittelbar danach setzte die Regierung jedoch mit harten Gegenmaßnahmen ein. Insgesamt zwölf Druckereien, die das Rundschreiben vervielfältigten, wurden enteignet. Überdies wurden die gegen katholische Geistliche schwebenden Prozesse wegen angeblicher Devisen- und Sittlichkeitsdelikten wiederaufgenommen und propagandistisch ausgeschlachtet.



"Mit brennender Sorge" stellt einen Wendepunkt in der päpstlichen Politik gegenüber dem "Dritten Reich" dar. Die Abrechnung mit dem Nationalsozialismus eröffnete nach einer Phase nichtöffentlicher diplomatischer Proteste die offene Konfrontation - die zu führen dem Nachfolger Pius XI., also Pius XII. (1939-1958), vorbehalten war. Ob die Debatte katholische Kirche und Drittes Reich heute in anderen Bahnen verlaufen würde, wenn Pius XI. länger gelebt hätte, bleibt Spekulation.