Sozialethiker Ockenfels zum politischen Katholizismus in Deutschland

"Kirche ist keine politische Weltverbesserungsanstalt"

Während mit Joachim Gauck und Angela Merkel zwei Protestanten an der Spitze der Bundesrepublik stehen, sinkt der Einfluss der Katholiken in der deutschen Politik rapide. Doch der Amtskirche dafür die Schuld zu geben, diesen Vorwurf weist der Sozialethiker und Dominikanerpater Ockenfels im domradio.de-Interview entschieden zurück.

 (DR)

domradio.de: Vorbei die Zeiten von Adenauer und Kohl. Stattdessen haben wir nun eine protestantische Doppelspitze im Staat. Ist der politische Katholizismus am Ende?

Ockenfels: Der politische Katholizismus war ja noch bis Helmut Kohl in der CDU ganz gut verankert. Aber die Zeiten sind etwas darüber hinweg gegangen und das hat verschiedene Gründe. Zum Beispiel hängt es auch davon ab, dass unsere katholischen Verbände, also die Vereinigungen wie KAB, Bund katholischer Unternehmer, KKV und wie sie alle hießen, dass sie im Laufe der Zeit ziemlich abgetaucht sind und eigentlich nicht mehr sehr viel zu der Politikgestaltung zu sagen haben. Das ist nicht Aufgabe von Bischöfen, jetzt der Politik Vorschriften zu machen, sondern als Vermittlung sollten hier katholische Laienverbände eine Rolle spielen, weil die Laien die eigentlichen Fachleute in der politischen Sache sind.

domradio.de: Dabei gibt es doch durchaus noch Katholiken, die sich politisch engagieren: Norbert Lammert, Wolfgang Thierse oder Annette Schavan, um nur einige Namen zu nennen. Reicht das nicht aus auf Seiten der Politik?

Ockenfels: Da hat man schon manchmal den Eindruck, dass hier die Kenntnis der katholischen Soziallehre ziemlich verkümmert ist und dass man sich gerade vom Zentralkomitee her, wo die Politiker organisiert sind, die katholischen Politiker aller Parteien, dass man sich hier wohl eher um die Strukturprobleme der katholischen Kirche kümmert und nicht mehr so sehr um die Reformnotwendigkeiten der Gesellschaft, die ja nun wirklich von einer Krise in die andere torkelt und dringend der Orientierung bedürftig ist. Man müsste sich - und das gilt auch für Herrn Geißler - mal wieder mit den Texten und Orientierungen der katholischen Soziallehre bemühen und hier Kenntnisse haben und Orientierungen weitergeben und Konkretisierungen für die deutschen Verhältnisse.

domradio.de: Die katholische Kirche war aber mal vor allem mit ihrer Soziallehre ganz besonders stark in unserer Politik vertreten. Aber laut Geißler habe sich die Kirche dann vom Neo-Liberalismus anstecken lassen und bringe so keine Impulse mehr, sondern predige stattdessen "Entweltlichung". Woran liegt dieser Rückgang an Relevanz?

Ockenfels: Also in dieser Analyse liegt Geißler ziemlich falsch, wie er überhaupt vieles durcheinander bringt. Ich würde ihm sehr empfehlen, mal ein Seniorenstudium zu machen, in Trier etwa, um hier auch einmal die katholische Soziallehre und ihre Grenzen und Möglichkeiten zur Kenntnis zu nehmen. Zum einen war es ja so gewesen, dass in Deutschland die katholischen Verbände ziemlich abgetaucht sind und die katholische sogenannte "Amtskirche" konnte das nicht mehr kompensieren, diesen Mangel. Jetzt ist es aber so, dass es nicht Aufgabe des Lehramtes ist, sich hier konkret in die Politik einzuschalten. Sie sollen mal schön Orientierungen liefern, die ja auch dringend gefordert sind, ethische und Sinnorientierungen. Und da kann man nicht sagen, dass die Bischöfe abgetaucht sind. Wir haben wirklich sehr kompetente Leute, hier zum Beispiel Kardinal Marx, den Erzbischof von München und eine ganze Reihe anderer Bischöfe, die sich durchaus zu Wort melden. Aber von denen darf man auch nicht verlangen, dass sie die Programmatik der CDU vorschreiben oder dass sie nun auf jedes Problem eine passende Lösung finden. Die Kirche ist eben kein Parteiersatz und erst recht keine Quasi-Gewerkschaft, der man die Lösung sämtlicher konkreter sozialer Probleme aufhalsen kann.

domradio.de: Schuld am Niedergang des politischen Katholizismus in Deutschland sei laut Geißler die Politik des Vatikans mit einer verfehlten Verengung auf sexual-ethische Fragen in der Vergangenheit, aber auch mit einer "Spiritualisierung des Evangeliums" durch Papst Benedikt. Stimmen Sie dem zu?

Ockenfels: Auch hier kann man von einem defizitären Verhältnis des Herrn Geißler zur katholischen Soziallehre ausgehen. Er hat wohl die Texte nicht gelesen. Und gerade die Ansprachen, die der Papst hier in Deutschland gehalten hat, haben gezeigt, dass er hier für das Naturrecht eingetreten ist als der Grundlage für die Menschenwürde und für die Menschenrechte. Das war die große Rede im Bundestag, die er gehalten hat. Und was er danach in Freiburg über die sogenannte "Entweltlichung" gesagt hat, das läuft doch darauf hinaus, dass die Kirche eben nicht primär eine politische Weltverbesserungsanstalt ist, sondern zunächst einmal mit der Glaubenskrise hier in Deutschland und in Europa fertigwerden muss und dagegensteuern sollte und dann auch eine gewisse Distanz zu gewinnen gegenüber den Zeitgeistströmungen. Entweltlichung bedeutet doch, dass man zur Geschichte und zur Gesellschaft zunächst einmal in ein kritisches Distanzverhältnis gehen muss, bevor man überhaupt ein Urteil fällen kann. Und von daher ergibt es sich, dass man, wenn man diese Gesellschaft richtig nach Qualitäten und nach Negativem beurteilen kann, dass man ihr auch dann anempfehlen kann, sich wieder an bestimmte Prinzipien zu halten wie Solidarität, wie Gemeinwohl oder wie die Subsidiarität. All das ist doch ziemlich aus dem Bewusstsein auch der Massenmedien verschwunden.

Das Interview führte Aurelia Plieschke (domradio.de)

Hintergrund: Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler hatte in einem am Dienstag veröffentlichten Interview mit "Cicero online" der katholischen Kirche in Deutschland politische Bedeutungslosigkeit vorgehalten. Zugleich warf er der Kirche eine "verfehlte Verengung auf sexual-ethische Fragen" vor, die beim Klerus zu einer Radikalisierung dieser Themen geführt habe.

In weiten Bereichen der Gesellschaftspolitik, der Friedenspolitik und der Sozialpolitik könne eine moderne Partei die Thesen und die Dogmen der Kirche nicht übernehmen. "Sie würde dadurch ihre Mehrheitsfähigkeit verlieren", sagte der Katholik und kurzzeitige Angehörige des Jesuitenordens. "Der Vatikan blendet völlig aus, dass das Evangelium eine politische Dimension in alle gesellschaftliche Bereiche hinein hat. Dies führt dazu, dass die katholische Kirche in der Gesellschaft keine Rolle mehr spielt."

Konkret sagte der Sozialpolitiker, dass die katholische Amtskirche und ihre offizielle Theologie in der "globalen geistigen Auseinandersetzung um eine den Kapitalismus ablösende neue
Weltwirtschafts- und Sozialordnung" keine Impulse gebracht habe.

"Wir bräuchten heute eine internationale, sozialökologische Marktwirtschaft. Doch die Konzepte dafür werden nicht mehr von der Kirche geliefert, sondern die kommen aus dem politischen Raum, eher noch von der evangelischen, aber nicht mehr von der katholischen Kirche." Dies sei um so verwunderlicher, als die Kirche seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Soziallehre entwickelt habe, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Grundlage der sozialen Marktwirtschaft geworden sei.

Auch bei der Diskussion um die internationale Finanztransaktionssteuer sei von der Kirche nichts zu hören, so Geißler. "Müsste diese eine solche Entwicklung nicht theologisch begleiten? Das erwarten viele Menschen, aber die katholische Amtskirche hat sich vom menschlichen Leben abgemeldet."