Immer mehr Menschen fliehen aus Syrien in den Libanon

Die Angst im Gepäck

Wie viele Syrer inzwischen in den Libanon geflohen sind, weiß nicht einmal das UN-Flüchtlingshilfswerk. In dem sicheren Nachbarland bestimmt weiterhin die Angst den Alltag der Flüchtlinge.

Autor/in:
Mona Naggar
 (DR)

Der Winter im Libanon ist in diesem Jahr ungewöhnlich kalt. Randa sitzt auf einer dünnen Schaumgummimatratze und hat sich eine Wolldecke um den Körper gewickelt. Dann beginnt die 50-Jährige zu erzählen: "Es war fünf Uhr morgens. Wir wurden von Artilleriefeuer aus dem Schlaf gerissen." Die syrische Armee hatte ihr Dorf mit Panzern umzingelt. Bewaffnete Milizen, die Shabbiha, drangen in das Dorf ein und eröffneten das Feuer. Randa überlegte nicht lange. Sie nahm ihre Kinder und floh: "Ich konnte nichts mitnehmen, keine Kleidung, kein Geld, nichts. Wir sind zum Fluss gelaufen und haben ihn zu Fuß überquert."



"Der Geheimdienst sucht uns. Ich kann auf keinen Fall zurück."

Randa stammt aus Arida. Nur ein kleiner Fluss trennt das syrische Grenzdorf vom Libanon. Wie in anderen Teilen Syriens, gingen auch in Arida die Menschen auf die Straße, um gegen das Regime zu protestieren. Abdalmumin, Randas Bruder, hat mitdemonstriert. Er ist in jener Nacht zusammen mit seiner Schwester geflohen. An Rückkehr denkt er nicht: "Der Geheimdienst sucht uns. Ich kann auf keinen Fall zurück. Sie würden mich umbringen." Er erzählt von Bekannten, die es gewagt hatten, zurückzugehen. "Bis heute wissen wir nicht, in welches Gefängnis sie gebracht wurden."



Abdalmumin und Randa sind in einer verlassenen Dorfschule in Rama, im Nordlibanon untergekommen. Seit Herbst leben sie mit ungefähr 100 syrischen Flüchtlingen in dem notdürftig hergerichteten Gebäude. Das UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, hat ihnen den Unterschlupf zur Verfügung gestellt. Das Hilfswerk versorgt sie mit Essen, Matratzen, Wolldecken und Kleidung. Da sie illegal über die Grenze gekommen sind und keine gültigen Visa besitzen, dürfen sie weder arbeiten noch sich frei im Libanon bewegen.



Niemand weiß, wie viele syrische Flüchtlinge im Libanon sind

Die libanesisch-syrische Grenze ist 375 Kilometer lang. Woche für Woche fliehen Menschen aus Angst vor der Gewalt der syrischen Armee und der Sicherheitskräfte über die Grenze ins sichere Nachbarland. In der Bekaa-Ebene im Osten des Landes hat das UNHCR etwa 5.000, im Norden fast 8.000 Flüchtlinge registriert. Aber niemand weiß, wie viele syrische Flüchtlinge sich tatsächlich im Libanon aufhalten.



Simon Faddoul, Präsident der katholischen Hilfsorganisation Caritas Libanon, weist darauf hin, dass viele Familien sich weigerten, sich beim UNHCR oder anderen Hilfsorganisationen zu melden: "Sie lehnen es ab ihre Namen anzugeben und Fotos von sich machen zu lassen. Sie haben Angst, dass sie erkannt werden und dann nach ihrer Rückkehr Schwierigkeiten bekommen oder schikaniert werden könnten." Das gelte für Muslime und Christen.



In den Statistiken der Hilfsorganisationen im Libanon tauchen auch christliche syrische Flüchtlinge nicht gesondert auf. Caritas Libanon, die seit fünf Monaten in der Bekaa-Ebene syrische Flüchtlinge betreut, spricht von ungefähr 50 christlichen Familien. Es können auch mehr sein. "Ich habe nicht alle gesehen", sagt Simon Faddoul. Einige Familien hätten es abgelehnt, ihn zu empfangen.



In den letzten Monaten hat sich Tripoli, die Metropole im Norden, zur Hochburg der syrischen Flüchtlinge im Libanon entwickelt. Sie liegt nur eine halbe Autostunde von der syrischen Grenze entfernt. Die Menschen, die im Osten des Landes Schutz suchen, stammen allerdings größtenteils aus Homs. Die Rebellen-Hochburg war Anfang März von der syrischen Armee erobert worden. Es kam zu Massakern an der Bevölkerung.



Ein Jahr nach dem Ausbruch des Aufstandes gegen das Assad-Regime in Syrien, glaubt in der Region niemand daran, dass das Land bald zur Ruhe kommen wird. Das UNHCR im Libanon stellt sich auf noch mehr Flüchtlinge ein. Anfang März ist ein neues Büro in der Bekaa-Ebene eröffnet worden. Zugleich bemüht sich das UN-Hilfswerk bei der libanesischen Regierung um eine Aufhebung des Arbeitsverbot für illegal eingereiste Flüchtlinge.